Die turbulente Kindheit der Kugelsternhaufen

11. April 2013
Die massereichen Sternhaufen, die unsere und andere Galaxien begleiten, haben eine komplexere Entwicklung hinter sich als bisher angenommen. Neuere Beobachtungen ergaben Hinweise auf mehrere Sterngenerationen, die nun von einem Forscherteam des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik, der Sternwarte der Universität Genf und der französischen Wissenschaftsorganisation CNRS erklärt werden können. Demnach wären unter den Sternen der ersten Generation in den Kugelsternhaufen sehr viel massereichere gewesen als die heute noch sichtbaren Sterne. Diese würden durch ihre schnelle Entwicklung bis hin zu heftigen Supernovaausbrüchen die Entwicklung der nachfolgenden Sterngenerationen erheblich beeinflussen.

Kugelsternhaufen sind wahre Himmelsjuwelen, die aus Hunderttausenden von Sternen bestehen. Sie zählen zu den ältesten Objekten des Universums und entstanden vermutlich gemeinsam mit den Galaxien zu denen sie gehören. Man beobachtet sie in allen Arten von Galaxien; die Milchstraße beherbergt fast zweihundert Stück, die Andromedagalaxie etwa 500 und 15.000 werden in der massereichen elliptischen Galaxie M87, der zentralen Galaxie des Virgo-Galaxienhaufens, gezählt.

Neuere Beobachtungen mit den 8m-Teleskopen (VLT) der europäische Südsternwarte (ESO) und mit dem Weltraumteleskop Hubble ergaben eindeutige Hinweise auf das Vorhandensein mehrerer Sterngenerationen in jedem einzelnen der untersuchten Kugelsternhaufen. Dabei zeigte sich auch  jeweils eine sehr unterschiedliche chemische Zusammensetzung, insbesondere eine starke Anomalie der Elementhäufigkeiten von Natrium und Sauerstoff. Bisher gingen die Wissenschaftler von einer einzigen Sterngeneration mit homogener chemischer Zusammensetzung aus. Deshalb erschütterte die Entdeckung unterschiedlicher Sterngenerationen eines der ältesten Paradigmen der Astrophysik und blieb lange rätselhaft. Nun hat eine Kollaboration aus Wissenschaftlern des MPE, der Sternwarte der Universität Genf und der französischen Wissenschaftsorganisation CNRS eine Erklärung vorgeschlagen.

Die Forschergruppe entwickelte ein innovatives Szenario, das zeigt, welche Effekte eine erste Generation massereicher Sterne in ihrer Umgebung kurz nach der Entstehung des Kugelsternhaufens auslösen können. Diese Sterne wären in  den zentralen Regionen des Haufens entstanden und bereits vor langer Zeit verschwunden. Aufgrund ihrer großen Massen würden diese  Sterne nahe der kritischen Zerreißgeschwindigkeit rotieren und einen Großteil der Verbrennungsprodukte des Wasserstoffs, welche sie in ihrem Inneren erzeugen, in ihre Umgebung abgeben. Diese Auswürfe würden sich in einer Scheibe um den massereichen Stern ansammeln, dort mit interstellarem Gas vermischen und Sterne der nachfolgenden Generation zur Welt bringen, mit den Massen und der chemischen Zusammensetzung wie man sie heute beobachtet. Dieser neue Sternentstehungsmodus in sehr dichten Umgebungen, wie er von dem Team vorgeschlagen wurde, erlaubt es zweifelsohne, Parallelen zur Planetenentstehung aus Staubscheiben um Sterne zu ziehen.

Das Szenario impliziert, dass die anfängliche Masse der Kugelsternhaufen etwa 20 bis 30-mal größer als die heutige Masse war. Das ergibt für die massereichsten Kugelsternhaufen, wie etwa NGC 2808 (Bild), einige Millionen Sonnenmassen.

 

"Die meisten leichten Sterne der ersten Generation verschwinden etwa 40 Millionen Jahre nach ihrer Entstehung in den galaktischen Halo", erklärt Martin Krause vom MPE. "Dies passiert, wenn die massiven Sterne der ersten Generation am Ende ihres Lebens zu Neutronensternen und Schwarzen Löchern werden und dabei riesige Mengen an Energie freisetzen. Dadurch wird dann das übriggebliebende Gas ausgeworfen, und die leichten Sterne können aufgrund der geringeren Schwerkraft entweichen."

 

Diese Sterne könnten einen Großteil der Sterne im Halo der Milchstraße ausmachen, und sollten zweifelsohne mit der Raumfahrtmission GAIA der europäischen Weltraumbehörde ESA, die Ende 2013 starten und die Milchstraße kartographieren soll, gefunden werden.

Die MPE-Wissenschaftler und ihre Kollegen möchten nun einige Schlüsselhypothesen ihres Szenarios für die chemische und dynamische Entwicklung der massereichen Sternhaufen testen. Durch mehrdimensionale hydrodynamische Computersimulationen werden sie insbesondere die Auswürfe massereicher Sterne modellieren und wie diese mit der interstellaren Materie in extremen Umgebungen wechselwirkt. Somit wollen sie auch die dadurch induzierte Sternentstehung besser verstehen – eine der interessantesten Fragen der modernen Astrophysik. Nicht zuletzt sollten diese  Arbeiten auch eine Neubestimmung des Alters der Kugelsternhaufen erlauben, das eine unabhängige Untergrenze für das Alter des Universums darstellt.

 

 

Weitere interessante Beiträge

Zur Redakteursansicht