Die Milchstraße - Tomographie einer Balkenspiralgalaxie
Unsere Milchstraße besteht wie viele Spiralgalaxien aus einer Scheibe, mit relativ jungen Sternen in Spiralarmen, und einer länglichen Verdickung, dem sogenannten "Bulge", im Zentralbereich mit überwiegend alten Sternen. Dieser Bulge ist bei der Milchstraße wie bei zwei Dritteln der Spiralgalaxien balkenförmig verformt (siehe Abb. 1). Diese grobe Struktur ist bereits seit langem bekannt, allerdings ist es schwierig, die Verteilung und Häufigkeiten der Sterne genau zu vermessen, da sich unsere Sonne und damit auch die Erde in der dünnen Scheibe mit viel Gas und Staub befindet. Weiter entfernte Sterne, insbesondere in Richtung des galaktischen Zentrums in einem Abstand von 25 000 Lichtjahren, werden teilweise durch Gas- und Staubwolken abgeschirmt.
Den besten Blick auf die Zentralregionen unserer Galaxie bekommt man bei Nahinfrarot-Wellenlängen, bei denen diese Wolken durchsichtig werden. Beobachtungen von einer bestimmten Klasse von Riesensternen, den so genannten "Red Clump Stars", liefern die derzeit besten Informationen über die inneren Regionen der Milchstraße. Diese Sterne haben sehr gleichförmige absolute Helligkeit und Farbe, so dass ihre Abstände und die Staubabsorption aus ihrer scheinbaren Helligkeit und Farbe bestimmt werden können. Mit diesen Informationen kann dann die Verteilung der Sterne entlang der Sichtlinie rekonstruiert werden.
Asymmetrien in der Verteilung dieser Sterne beiderseits des galaktischen Zentrums ließen die Astronomen annehmen, dass die Sterne in einer balkenförmigen Struktur angeordnet sind. Tatsächlich deuteten die Daten auf zwei Balken hin: einen inneren länglichen Bulge und einen äußeren Balken in der Scheibe mit unterschiedlichen Ausrichtungen. Neueste Beobachtungen im Rahmen der VVV-Beobachtungskampagne am VISTA-Teleskop der ESO zeigten nun, dass sich die Asymmetrien in einer Region etwa 2000 Lichtjahre rund um das galaktische Zentrum erneut ändern. Gibt es also einen zusätzlichen Kernbalken im Innersten der Milchstraße? Und wie könnten sich all diese Strukturen im Inneren der Milchstraße gebildet haben?
Mit Hilfe einer Computersimulation haben Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik nun gezeigt, dass der längliche Bulge, der Balken in der Scheibe und die Verteilung der Sterne im Zentrum der Milchstraße mit ein- und demselben Modell erklärt werden können. Dieses zeigt außerdem, wie der Balken mit den Spiralarmen interagiert. Der innere Bereich, bis zu 2000 Lichtjahre vom Zentrum entfernt, hat eine höhere Dichte und eine rundere Verteilung der Sterne als die zigarrenförmige Struktur des äußeren Bulges.
"In unserem Modell entsteht der galaktische Bulge durch dynamische Instabilitäten in der Scheibe", erklärt Ortwin Gerhard, der leitende Wissenschaftler der MPE-Forschungsgruppe. "Überraschenderweise konnten wir die neu entdeckte Anordnung der Sterne dabei ebenfalls in unserem Modell reproduzieren, ohne die Parameter diesen Beobachtungen speziell anpassen zu müssen. Alle Komponenten, ob nahe dem Zentrum oder weiter außen, bilden sich ganz natürlich im Rahmen der Entwicklung einer gewöhnlichen Scheibengalaxie."
Die Simulation besteht aus einer Million Teilchen, die anfangs in einer exponentiellen Scheibe angeordnet und von einem Halo aus dunkler Materie umgeben sind. Im Laufe von 1-2 Milliarden Jahren entwickeln sich Instabilitäten, die dazu führen, dass sich zunächst eine balkenförmige Struktur entwickelt und schließlich eine Verdickung im Zentrum, der längliche Bulge. Die Tatsache, dass die Strukturen der Milchstraße, wie wir sie von unserer Position in der Scheibe aus sehen, in einer solchen Simulation ganz normal entstehen, stützt die Hypothese, dass unsere Milchstraße als reine Scheibengalaxie begann und sich ohne großen Einfluss von außen entwickelte.