Verschmelzung zweier Neutronensterne gleichzeitig als Gammastrahlenausbruch mit optischem Nachleuchten und mit Gravitationswellen entdeckt
Die gleichzeitige Detektion eines kurzen Gammastrahlenausbruchs durch Fermi/GBM, INTEGRAL und als Gravitationswelle mit LIGO/Virgo, gefolgt von Beobachtungen mit MPG/GROND läutet eine neue Ära in der Astronomie ein.
Am 17. August 2017 um 12:41:06 UTC entdeckte der Gamma-Ray Burst Monitor (GBM) an Bord des Fermi Satelliten einen kurzen Gammastrahlenausbruch (engl. Gamma-Ray Burst, GRB), und löste daraufhin einen Alarm aus. Die Entdeckung erhielt die Katalognummer GRB 170817A.
„Zuerst schien der Nachweis dieses neuen Gammastrahlenausbruchs mit GBM nichts außergewöhnliches zu sein“, erinnert sich Andreas von Kienlin, der als Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik (MPE) am Bau des GBM-Instruments beteiligt war und zum Zeitpunkt des Signals das Instrument betreute. „Wir sehen regelmäßig neue GRBs, etwa 4 bis 5 pro Woche.“ Was er nicht wusste war, dass etwa zur gleichen Zeit – am 17. August 2017 um 12:41:04 UTC, um genau zu sein – ein charakteristisches Gravitationswellensignal von den Advanced LIGO und Virgo Observatorien aufgefangen wurde, das das Einsatzteam aber erst nach Durchsicht in Folge der GRB-Alarmierung fand.
„Als wir erfuhren, dass es gleichzeitig einen Auslöser für Gravitationswellen gab, wussten wir sofort, dass es sich um ein historisches Ereignis handelte ", sagt von Kienlin.
Zum ersten Mal wurden sowohl Gravitationswellen als auch elektromagnetische Strahlung von demselben, kataklysmischen astronomischen Ereignis erfasst. Ein weiteres Novum: Zum ersten Mal bestand die Quelle der Gravitationswellen nicht aus zwei aufeinander prallenden Schwarzen Löchern, sondern aus zwei verschmelzenden Neutronensternen, den Überresten massereicher Sterne nach dem Gravitationskollaps am Ende ihrer stellaren Entwicklung.
Eine weitere Überraschung bestand darin, dass die Gammastrahlen und die Gravitationswellen nicht genau zur gleichen Zeit detektiert wurden:
„Der Zeitunterschied von zwei Sekunden zwischen den Gravitationswellen und dem Gammastrahlenausbruch schränkt die Theorien für die Ereignisse unmittelbar nach der Neutronenstern-Verschmelzung deutlich ein“, fügt von Kienlin hinzu. „Diese und die anderen Beobachtungen geben uns einzigartige Einblicke in die Physik rund um dieses Ereignis.“
Energiereiche Strahlung aus der Verschmelzung wurde auch von INTEGRAL, einer weiteren Gammastrahlenmission mit einem MPE-Instrument, beobachtet. Der Anti-Koinzidenz-Schild des SPI-Spektrometers an Bord von INTEGRAL sah das erste Aufblitzen und INTEGRAL führte daraufhin mit allen Instrumenten gezielte Folgebeobachtungen durch. Die Wahrscheinlichkeit, einen GRB und ein Gravitationswellensignal zufällig am gleichen Ort zur selben Zeit zu beobachten, beträgt 1 zu 200 Millionen – die Gewinnchancen beim Lotto sind besser.
„Das mit INTEGRAL beobachtete Signal war zwar nicht sehr hell, aber wir können das Fermi/GBM-Ereignis mit einer völlig unabhängigen Gammastrahlendetektion bestätigen“, sagt Roland Diehl, Wissenschaftler am MPE und Co-PI für INTEGRAL/SPI. „Damit befinden wir uns mit der Assoziation des Gammastrahlenausbruchs mit dem Gravitationssignal auf sicherem Terrain. Außerdem können wir damit einen kurzen GRB zum ersten Mal eindeutig mit einer Neutronenstern-Kollision in Verbindung bringen.“
Sowohl Fermi/GBM als auch INTEGRAL/SPI mit ACS sind Instrumente, die vom MPE in Zusammenarbeit mit Partnern in den USA bzw. Frankreich entwickelt und gebaut werden. Darüber hinaus konnte das Institut mit seinem GROND-Instrument am MPG/ESO 2,2-Meter-Teleskop am La Silla-Observatorium in Chile zur optischen Nachbeobachtung beitragen. Aufgrund der gleichzeitigen Gravitationswelle und dem Gammastrahlensignal wurden rund 40 Minuten nach der Entdeckung Beobachter rund um den Globus in Alarmbereitschaft versetzt. Weniger als 11 Stunden später entdeckten mehrere Teams in der linsenförmigen Galaxie NGC4993, etwa 130 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt, eine neue, helle optische Quelle. Eine neue optische Quelle, ein Gammastrahlenausbruch und eine Gravitationswellen-Detektion stammen somit alle aus derselben Quelle: der Verschmelzung eines Doppel-Neutronenstern-Systems.
Neutronensterne sind die extrem dichten Überreste von riesigen Sternen, die unter ihrer eigenen Schwerkraft zusammengebrochen sind, nachdem ihnen der Treibstoff für die Kernfusion in ihrem Innern ausging. Die Verschmelzung zweier solcher Neutronensterne (oder eines Neutronensterns und eines Schwarzen Lochs) wurde – theoretisch – als Erklärung für kurze Gammastrahlenausbrüche vorgeschlagen. Die gemeinsamen Beobachtungen der charakteristischen Signale eines derartigen Ereignisses am 17. August bestätigen dies nun eindeutig.
Folgebeobachtungen bei optischen, Infrarot-, sowie Röntgen- und Radiowellenlängen vervollständigten das Bild und belegen, dass die veränderliche Quelle durch den radioaktiven Zerfall schwerer Elemente, die während des kataklysmischen Ereignisses entstanden sind, mit Energie versorgt wird. Kontinuierliche Nachbeobachtungen der Quelle mit GROND über zwei Wochen hinweg erwiesen sich als ausschlaggebend, um die Synthese schwerer Atomkerne im Nachgang der Neutronenstern-Verschmelzung zu verstehen. Schone lange wurde die Verschmelzung derart kompakter Objekte als Hauptquelle für die Entstehung der schweren Elemente im Universum angesehen; die einzigartigen GROND-Daten lieferten nun die Informationen, um diese Modelle zu testen.
„Wir konnten eindeutig Signaturen identifizieren, die durch die theoretischen Modelle für die veränderliche Emission vorhergesagt werden: Wir sahen die sogenannte Kilonova“, sagt Janet Ting-Wan Chen vom MPE, die die Beobachtungen mit GROND durchführte, Zweitautorin auf der Veröffentlichung zur Kilonova-Entdeckung.
„Diese ersten übereinstimmenden Beobachtungen einer astronomischen Quelle mit elektromagnetischen und Gravitationswellen geben uns ein detailliertes Bild dieses Ereignisses von drei Minuten vor der Verschmelzung bis zu einigen Wochen danach“, sagt Jochen Greiner, der am MPE für den Bau von GROND verantwortlich war und der das diese Woche stattfindende Fermi-Symposium organisierte. „Über dieses eine Ereignis hinaus markiert es den Beginn einer neuen Ära der Astronomie.“