Ganz nah am Punkt ohne Wiederkehr

Forschungsbericht (importiert) 2018 - Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik

Autoren
Eisenhauer, Frank; Genzel, Reinhard
Abteilungen
Infrarot- / Submillimeter-Astronomie
DOI
Zusammenfassung
Rund hundert Jahre nach Albert Einsteins Vollendung der Allgemeinen Relativitätstheorie hatten wir 2018 ein herausragendes Jahr für die Erforschung schwarzer Löcher. Mit dem unter Leitung des MPE gebauten Instruments GRAVITY konnten wir erstmalig die Gravitationsrotverschiebung im Schwerefeld eines massereichen schwarzen Lochs messen, die Kreisbahnen nahe dem Punkt ohne Wiederkehr verfolgen und die Masse von schwarzen Löchern bestimmen, die Milliarden Lichtjahre entfernt sind. Mit seiner einzigartigen Bildschärfe und Empfindlichkeit wird GRAVITY die Astronomie revolutionieren.

Albert Einstein hat mit seiner Beschreibung der Gravitation, der Allgemeinen Relativitätstheorie, den Grundstein für unser Verständnis von Raum und Zeit gesetzt. Die Gültigkeit der Allgemeinen Relativitätstheorie wurde in den schwachen Schwerefeldern von Sonne und Erde in zahlreichen Experimenten eindrucksvoll bestätigt und deren Anwendung, beispielsweise in den weltweiten Navigationssystemen, hat ganz konkreten Nutzen für uns alle. Die Effekte der Gravitation sind verblüffend: die Zeit vergeht langsamer, der Raum wird gekrümmt, und in schwarzen Löchern werden ganze Raumgebiete unumstößlich von der Umgebung abgetrennt. Damit sind schwarze Löcher gewissermaßen unser „Stein von Rosetta“ für das grundlegende Verständnis von Raum und Zeit.

Mit GRAVTIY ganz nah ran an schwarze Löcher

Mit dem unter Führung des MPE entwickelten Instrument GRAVITY [1] können wir nun erstmals ganz präzise die Eigenschaften von schwarzen Löchern beobachten. Hierfür schalten wir die vier größten Teleskope der Europäischen Südsternwarte zu einem 130-m-Teleskop zusammen (Abbildung 1). Diese Technik – genannt Interferometrie – geht auf Albert Michelson zurück, der damit erstmals den Durchmesser eines Sterns messen konnte. Nach Jahrzehnten ist uns mit GRAVITY ein  technischer Durchbruch gelungen, und wir beginnen damit die Geheimnisse der schwarzen Löcher zu ergründen.

Das schwarze Loch im Zentrum unserer Milchstraße ist hierfür ein ideales Labor. Kein massereiches schwarzes Loch ist uns näher. Doch selbst dessen Durchmesser erscheint uns nur so groß wie eine Euromünze auf dem Mond. Mit GRAVITY gelang es uns, die Bewegung von Sternen und heißem Gas auf den Bahnen um das schwarze Loch präzise zu verfolgen (Abbildung 2). Mit seiner Genauigkeit und Empfindlichkeit übertrifft GRAVITY seine Vorgänger um das Hundert- bis Tausendfache und ist damit weltweit führend und einzigartig.

Die Zeit vergeht langsamer in der Nähe eines schwarzen Lochs

Das schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße offenbart sich zuallererst durch seine ungeheure Schwerkraft. Ganz ähnlich wie die Planeten im Schwerefeld der Sonne, kreisen im Galaktischen Zentrum die Sterne um das schwarze Loch. Seit über 25 Jahren verfolgt unsere Gruppe die Bewegung dieser Sterne. Insbesondere ein Stern – genannt S2 – nähert sich wie ein Komet alle 16 Jahre dem schwarzen Loch bis auf nur den 120-fachen Abstand zwischen Sonne und Erde. Durch seine Anziehungskraft beschleunigt das schwarze Loch den Stern bis auf 8000 km/s, entsprechend 2,5 % der Lichtgeschwindigkeit.

Eine Vorhersage der Allgemeinen Relativitätstheorie ist, dass in einem so starken Schwerefeld die Uhren langsamer gehen, ein Effekt der sich in der sogenannten Gravitationsrotverschiebung im Spektrum des Sterns zeigt. Mit der überragenden Präzision und Empfindlichkeit von GRAVITY und dem ebenfalls vom MPE entwickelten Spektrometer SINFONI konnten wir diesen Effekt nun erstmalig für ein massereiches schwarzes Loch direkt messen [2] und damit Einsteins Vorhersage eindrucksvoll bestätigen.s

Mit 30 % der Lichtgeschwindigkeit am Rand des schwarzen Lochs

Obwohl das eigentliche schwarze Loch unsichtbar ist, macht es sich doch immer wieder bemerkbar, wenn einfallendes Gas auf Milliarden Grad aufgeheizt wird und leuchtet. Mit diesem umgebenden, rotierenden Gas bauen sich starke Magnetfelder auf, die sich dann in Strahlungsausbrüchen entladen, wie wir sie ähnlich auch von Sonneneruptionen kennen. Im Sommer 2018 konnten wir mit GRAVITY drei solche Strahlungsausbrüche beobachten. Die Ergebnisse sind spektakulär [3]: In allen drei Fällen beobachteten wir, wie das heiße Gas mit 30 % der Lichtgeschwindigkeit nur knapp über dem Ereignishorizont, dem Punkt ohne Wiederkehr, in nur 45 Minuten um das schwarze Loch kreist. Wir schließen daraus, dass die ungeheure Masse von über vier Millionen Sonnenmassen auf kleinstem Raum konzentriert ist - genauso, wie es die Theorie der schwarzen Löcher vorhersagt. Dieses Ergebnis ist eine überwältigende Bestätigung des Paradigmas von dem massereichen Schwarzen Loch im Zentrum unserer Milchstraße.

Supermassereiche schwarze Löcher

Massereiche Schwarze Löcher finden sich in den Zentren aller großen Galaxien. Sie können bis zu mehrere Milliarden Sonnenmassen in sich vereinen. Wenn Materie auf diese schwarzen Löcher einfällt, leuchtet das erhitzte Gas so hell, dass es die ganze Galaxie überstrahlt und noch in einer Entfernung von Milliarden Lichtjahren sichtbar ist. Aber gerade deshalb sind diese aktiven schwarzen Löcher nur schwer zu vermessen, denn man sieht die Sterne nicht mehr, aus deren Umlaufbahnen man sonst die Zentralmasse berechnen kann. Bisher konnte man die Massen solcher Objekte nur über das Lichtecho an Gaswolken ableiten, die das schwarze Loch umgeben. Aber hierzu muss man Annahmen für die unbekannte Verteilung und Bewegung dieser Wolken machen. Mit GRAVITY konnten wir nun zeigen, dass auch diese Gaswolken sich auf geordneten Kreisbahnen um das schwarze Loch bewegen. Mit der gemessenen Entfernung der Wolken zum Zentrum von 150 Lichttagen und deren Umlaufgeschwindigkeit konnten erstmals die Masse eines aktiven schwarzen Loches bestimmen. Es ergab sich ein Wert von 300 Millionen Sonnenmassen [4].

Ausblick – die Raumzeit rotiert

Noch ungewöhnlicher ist eine weitere Eigenschaft schwarzer Löcher. Nicht nur das schwarze Loch selbst, sondern auch der Raum und die Zeit rotieren um das Zentrum. Es ist eine höchst erstaunliche Vorhersage der Allgemeinen Relativitätstheorie, dass alle beobachtbaren Eigenschaften eines schwarzen Lochs durch nur zwei Größen bestimmt sind, die Masse und die Rotation, unabhängig von der komplexen Entstehungsgeschichte und dem inneren Aufbau. Mit GRAVITY und weiteren am MPE in Entwicklung befindlichen Instrumenten werden wir in den nächsten Jahren diese Rotation der Raumzeit in der Bewegung der Sterne und der einfallende Materie vermessen, und damit einen weiteren Meilenstein zum Verständnis der Allgemeinen Relativitätstheorie setzen.

Literaturhinweise

1.
GRAVITY Collaboration
First light for GRAVITY: Phase referencing optical interferometry for the Very Large Telescope Interferometer
Astronomy & Astrophysics, 602, 94 (2017)
2.
GRAVITY Collaboration
Detection of the gravitational redshift in the orbit of the star S2 near the Galactic centre massive black hole
Astronomy & Astrophysics 615L, 15 (2018)
3.
GRAVITY Collaboration
Detection of orbital motions near the last stable circular orbit of the massive black hole SgrA*
Astronomy & Astrophysics, 618L, 10 (2018)
4.
GRAVITY Collaboration
Spatially resolved rotation of the broad-line region of a quasar at sub-parsec scale
Nature 563, 657 (2018)
Zur Redakteursansicht