Ein Blick hinter die Kulissen der Entstehung und Fragmentierung von Protostellaren Scheiben
Forschungsbericht (importiert) 2017 - Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik
Magnetische Bremskatastrophe
Scheiben aus Staub und Gas werden häufig bei jungen Sternen beobachtet; dennoch war es bislang schwierig, sie theoretisch zu beschreiben. Das Hauptproblem stellt dabei das interstellare Magnetfeld dar, das die dichte, rotierende Molekülwolke durchdringt und zur so genannten magnetischen Bremskatastrophe führt. Darunter muss man sich Folgendes vorstellen. Eine große rotierende interstellare Wolke ist von einem überall in der Milchstraße vorhandenen Magnetfeld durchzogen. Solange die darin befindliche Materie elektrisch nicht neutral ist, ist sie in das in das Magnetfeld eingefroren. Beim Kollaps und der damit verbundenen der Verdichtung der Wolke werden die Feldlinien in Richtung Wolkenzentrum gezogen, so dass das Magnetfeld die Form einer Sanduhr annimmt (Abb. 1). Die stark verdichteten Feldlinien stellen eine Verbindung her zwischen Gas aus der unmittelbaren Nähe des Sterns mit Materie, die viel weiter außen um den Stern rotiert. Damit trägt das Feld Drehimpuls vom Zentrum weg nach außen, das heißt, es bremst die Rotation. Dieser Effekt hemmt die Entstehung von rotationsgestützten Scheiben. Dieses Problem bleibt auch bestehen, wenn man in den Computersimulationen berücksichtigt, dass in der Scheibe neutrale Materie vorhanden sein kann, die nicht vom Magnetfeld beeinflusst wird.
Verhindern der magnetischen Bremskatastrophe
Die Lösung des Problems dieser magnetischen Bremskatastrophe liegt in der Chemie und in der Mikrophysik der Molekülwolke. Protostellare Scheiben können dann entstehen und in Sterne und Planeten fragmentieren, wenn winzige Staubkörnchen mit einer Größe von wenigen bis einigen zehn Nanometern aus der kollabierenden Wolke verschwinden (Abb. 1) [1]. Diese winzigen Staubteilchen fangen nämlich Elektronen und Ionen ein und sind deswegen elektrisch geladen. Deshalb werden sie von dem Magnetfeld beeinflusst und kollidieren auch häufig mit umgebenden Molekülen. Deshalb ist auch die neutrale Materie aufgrund dieser winzigen Staubkörnchen noch relativ gut an das Magnetfeld gekoppelt. Sind diese Partikel allerdings erst einmal entfernt, z.B. durch Anhaften an größere Körnchen wie dies auch bei Molekülen geschieht [2], so koppelt der Großteil der neutralen Materie nicht mehr effektiv an das Magnetfeld. Infolgedessen ist der magnetische Bremseffekt weniger wirksam, und es bleibt ein größerer Drehimpuls für die Scheibenbildung erhalten.
Warum verschwinden winzige Staubkörnchen in dichten Molekülwolken?
Das interstellare Medium besteht sowohl aus Gas- als auch aus Staubkörnchen, deren Größe eine Standardverteilung aufweist mit einer großen Menge an Teilchen im Nanometerbereich. Allerdings muss eine derartige Größenverteilung nicht unbedingt dem kalten und dichten Bereich einer molekularen Wolke entsprechen. Neuere Beobachtungen von dichten Molekülwolken zeigen, dass winzige Körnchen mit Größen von weniger als einigen zehn Nanometern in den Wolken fehlen [3].
Der Mangel an diesen winzigen Partikeln kann verschiedene Ursachen haben. Sie können sich zum Beispiel wie große Moleküle verhalten und auf der Oberfläche größerer Staubkörner ausfrieren. Oder sie bleiben im interstellaren Magnetfeld zurück und dringen gar nicht in den Zentralbereich ein, wohingegen größere Körner mit der neutralen Materie durch die Magnetfeldlinien “hindurchschlüpfen”. Solche Prozesse könnten bereits in frühen, relativ ruhigen Phasen der Molekülwolke vor dem Einsetzen des gravitativen Kollaps stattgefunden haben.
Protostellare Scheiben, Spiralarme und Mehrfach-Sternsysteme
Ohne die winzigen Staubkörnchen sind numerische Simulationen nun in der Lage, rotationgestützte Scheiben mit Größen ähnlich unserem Planetensystem entstehen zu lassen (Abb. 2). Zu frühen Zeiten sind solche Scheiben typischerweise massereich und ziehen sich unter dem Einfluss ihrer eigenen Schwerkraft zusammen, wobei sich schnell spiralförmige Wellen entwickelten. Je nach den Ausgangsbedingungen der dichten Molekülwolke, wie Ionisationsrate, magnetische Feldstärke und Rotationsgeschwindigkeit, können sich die Spiralarme über Hunderte von Astronomische Einheiten erstrecken und so mit der einfallenden Hülle verbunden sein (Eine Astronomische Einheit entspricht dem mittleren Abstand Erde-Sonne von etwa 150 Mio. km). Im äußeren Teil der Spiralarme häuft sich die einfallende Materie an und manchmal bilden sich Klumpen als Begleiter. Deren Masse beträgt mindestens einige Dutzend Jupitermassen; es handelt sich somit wahrscheinlich nicht um Planeten, sondern eher um Sterne. Dieses Szenario könnte die Entstehung von engen Doppelsternen und Mehrfach-Sternsystemen erklären, die häufiger in unserer Milchstraße auftreten als Einzelsterne.
Der Startplatz für magnetisch angetriebene Ausflüsse
Die numerischen Simulationen der Scheibenbildung zeigen auch Ausflüsse, die von der Stelle ausgehen, an der von außen einfallendes Material auf die Scheibe trifft. Die häufig beobachteten molekularen Ausflüsse von jungen Sternen werden vom sogenannten magneto-zentrifugalen oder Schleuder-Mechanismus angetrieben. Von außen auf die Scheibe treffendes Gas zieht Magnetfeldlinien mit, die sich an dem Auftreffort verdichten. Das in der Scheibe schnell-rotierende Gas wird dann entlang der Feldlinien beschleunigt und strömt vom Stern weg.
Im Gegensatz dazu haben Magnetfeldlinien innerhalb der rotations-dominierten Scheibe die Tendenz sich parallel zur Rotationsachse auszurichten. Weil die Aufprallstellen der einfallenden Materie asymmetrisch zur Scheibenebene sein können, müssen bipolare Gasströme nicht immer symmetrisch zur Scheibenebene sein. Dieses Paradigma wurde vor kurzem durch hochauflösende Beobachtungen mit dem Millimeter/Submillimeter-Array ALMA gestützt.
Die Entstehung unseres Planetensystemen verstehen
Die Entdeckung, dass das Entfernen von kleinen Staubkörnchen die magnetische Bremskatastrophe bei der Scheibenbildung verhindern kann, eröffnet unserem Verständnis von der Entstehung protoplanetarer Scheiben neue Horizonte. Zugleich zeigt sich, dass Chemie und Mikrophysik für die grundlegenden Prozesse im Bereich der Stern- und Planetenentstehung von entscheidender Bedeutung sind. Die zukünftige Erforschung dieser Prozesse wird den Kollaps von Molekülwolken und die langfristige Entwicklung von protoplanetaren Scheiben verständlicher machen, mit der Hoffnung, letztlich die Entstehung von Planetensystemen wie dem unserem nachvollziehen zu können.