Unsere astrochemischen Ursprünge

Forschungsbericht (importiert) 2014 - Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik

Autoren
Caselli, Paola
Abteilungen
Zentrum für astrochemische Studien
Zusammenfassung
Wie die Geburt eines sonnenähnlichen Sterns samt Planetensystem in unserer Milchstraße abläuft, trägt auch dazu bei, die Entstehung nicht nur unseres Sonnensystems besser zu verstehen sondern auch die von komplexen organischen Molekülen, wie sie in Kometen und Meteoriten gefunden wurden. Mit dynamischen Modellen, astrochemischen Simulationen und großen Teleskopen erforschen wir den physikalischen und chemischen Aufbau von dichten „Kernen” in interstellaren Wolken, versuchen Glycin, die einfachste Aminosäure, nachzuweisen und enthüllen die ersten Schritte hin zu protoplanetaren Scheiben.

Molekülwolken in der Milchstraße

Sterne und die dazu gehörenden Planetensysteme entstehen in riesigen Wolken in unserer Milchstraße, aber auch in anderen Galaxien. Diese Wolken bestehen aus molekularem Gas (hauptsächlich Wasserstoffmolekülen H2) und kleinen Staubteilchen [1], die etwa ein Hunderttausendstel Zentimeter groß sind, etwa zehntausend Mal kleiner als Sandkörnchen. Da diese Staubteilchen Sternlicht absorbieren, sind die interstellaren Wolken in optischen Bildern der Milchstraßenebene (Abb. 1) dunkel.

Vor der Sternentstehung sind die Wolken sehr kalt (etwa –263° Celsius) und sie strahlen kaum Energie ab. Wie können Astronomen diese Himmelsregionen trotzdem untersuchen und die einzelnen Schritte der Stern- und Planetenentstehung nachvollziehen? Der Staub glüht im Infraroten – schwach geheizt durch das absorbierte Sternenlicht –, das Gas strahlt hauptsächlich im Radiobereich (Abb. 2). Infrarot- und Radioteleskope sind daher für diese Forschung unverzichtbar.

Die Moleküle in den dunklen interstellaren Wolken werden durch Kollision mit Wasserstoffmolekülen (H2) angeregt. Diese Zusammenstöße erzeugen Rotationsbewegungen, die ihre Energie durch die Emission von elektromagnetischen Wellen im Radiobereich wieder abgeben. Abbildung 2 zeigt das Beispiel der 110 GHz-Strahlung, emittiert von Kohlenmonoxid-Molekülen, die vom ersten angeregten Rotationszustand in den Grundzustand übergehen [2]. Dank der hohen Empfindlichkeit und der hohen spektralen Auflösung heutiger Instrumente, zum Beispiel der IRAM-Teleskope und dem Atacama Large Millimeter and sub-millimeter Array (ALMA), können Moleküllinien sehr genau untersucht werden. Die Linienprofile erlauben es, sowohl die Geschwindigkeit der Wolke als auch lokale Geschwindigkeitsschwankungen zu messen, systematische Bewegungen (z. B. Kontraktion oder Expansion) und Turbulenz. Dies ist möglich, da die Moleküle sich mit verschiedenen Geschwindigkeiten relativ zu uns bewegen und ihre Strahlung deshalb aufgrund des Dopplereffekts bei geringfügig unterschiedlichen Frequenzen bei uns ankommt. Derartige Detailmessungen sind nötig um die dynamische Entwicklung dieser Wolken untersuchen und die zugehörigen theoretischen Modelle testen zu können.

Nach Wasserstoff (H2) ist Kohlenmonoxid (CO) ist das zweithäufigste Molekül im Universum. Seine niederenergetischen Rotationslinien sind stark gesättigt oder optisch dick, was bedeutet, dass seine Beobachtung nur Informationen über die äußere Schicht einer Wolke liefern kann. Um Informationen vom Inneren der Wolke zu bekommen, wo tatsächlich Sterne entstehen, müssen auch weniger häufige Moleküle beobachtet werden. Zum Beispiel die selteneren „Isotopologe” (Moleküle, die seltene Isotope enthalten). Die Moleküle 13C16O, 12C18O und 12C17O sind etwa 80, 500 und 2000 Mal seltener als das Standardmolekül 12C16O. Allerdings sind auch diese seltenen CO-Varianten nicht ausreichend. Wenn sich in der Wolke ein dichter Kern bildet, wird die Dichte dort so hoch, dass CO-Moleküle häufig mit Staubteilchen zusammenstoßen und an diesen haften bleiben. Aufgrund der niedrigen Temperaturen in der Wolke friert so ein großer Teil des Kohlenmonoxids auf den Staubteilchen aus [3] – andere Moleküle müssen gefunden werden, die die extreme Kälte überleben können. Hier kommt nun die Astrochemie ins Spiel.

Die Astrochemie, die Wissenschaft von der Bildung und Zerstörung interstellarer Moleküle, hilft uns, die besten Indikatoren bei unterschiedlichen Umweltbedingungen, wie Dichte oder Temperatur, zu finden. So stellte sich beispielsweise heraus, dass deuterierte Moleküle (also Moleküle, die statt Wasserstoff ein Deuteriumatom enthalten) sehr gut geeignet sind, um die innersten Bereiche der dichten Kerne zu untersuchen. Damit kann man die physikalischen und chemischen Prozesse nachvollziehen, die kurz vor der Geburt eines Sterns ablaufen [4].

Neben dem Beobachten führen die Astronomen Simulationen durch, die theoretische Modelle und Strahlungstransport-Techniken kombinieren, um damit sowohl die Beobachtungen besser zu verstehen als auch das theoretische Verständnis zu verbessern. Gleichzeitig dienen Laborarbeiten dazu, die Molekülhäufigkeiten, die Reaktions- und Kollisionsraten genau zu vermessen. Das Zusammenwirken von Theorie, Beobachtungen, Strahlungstransport und Labor ist also notwendig, um die „Botschaft” der Moleküle aus dem All in die Physik und Chemie der Stern- und Planetenentstehung zu übersetzen.

Etwa 200 verschiedene Moleküle sind bisher in interstellaren Wolken entdeckt worden; die Mehrzahl davon enthält Kohlenstoffatome und ist damit organisch. Einige sind sogar Vorläufer von Aminosäuren, den Grundbausteinen von Proteinen, und auch schon in Meteoriten nachgewiesen worden (siehe [5] und die Referenzen darin). Die Entdeckung von Aminosäuren in Meteoriten zeigt, dass uns die Astrochemie Hinweise auf das chemische Erbe unseres Sonnensystems und die ersten Schritte auf dem Weg hin zu komplexen Molekülen geben kann. Das neue Zentrum für astrochemische Studien am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik (MPE), das diese Physik und Chemie erforscht, wird uns helfen, unsere astrochemische Herkunft besser zu verstehen.

Das Alter von Wolken, komplexer Moleküle und die Geburt von protoplanetaren Scheiben

Es ist wichtig zu verstehen, wie interstellare Wolken sich aufsplittern und wie diese Fragmente, die sogenannten dichten Kerne, entstehen und sich weiter entwickeln. Im vergangenen Jahr schränkten Radiobeobachtungen von häufigen Molekülsorten, wie zum Beispiel CO, N2H+ und H2O (Wasser), die dynamischen Theorien der Sternentstehung ein [6]. Chemische Modellvorstellungen konnten verbessert werden, um so möglichst genau den wichtigen Molekülionen zu folgen, die Deuteriumatome an andere Moleküle verteilen (d. h. deuterierter molekularer Wasserstoff H2D+). Diese verbesserten Modelle berücksichtigen auch den Spin von Protonen und Deuteronen in Molekülen und erlaubten es zusammen mit Beobachtungen des SOFIA-Observatoriums (Stratospheric Observatory For Infrared Astronomy) zum ersten Mal das Alter einer Wolke zu bestimmen, die eine kleine Gruppe von jungen, sonnenähnlichen Sternen beherbergt [7].

Die genaue physikalische Struktur eines dichten Kerns, der kurz vor der Phase der Sternentstehung steht (nach [6]), bildete die Ausgangslage für Strahlungstransportmodelle um Vorhersagen über die Beobachtbarkeit von Glycin zu machen [8]. Die Entdeckung von Glyzin, der einfachsten Aminosäure, in diesen frühen Phasen der Sternentstehung (Abb. 3) würde die chemischen Modelle stark eingrenzen und Informationen liefern über die Zusammensetzung der Materie, aus der sich zukünftige Planetensysteme und damit auch Planeten bilden. Die IRAM- und ALMA-Teleskope werden diese Vorhersagen bald testen.

Planeten sammeln ihre Materie in sogenannten protoplanetaren Scheiben auf. Diese Scheiben entstehen bei der gleichzeitigen Rotation und Kontraktion einer Wolke, was letztlich zu einer Abplattung der ursprünglich sphärisch verteilten Materie führt (wie bei einem herumgewirbelten Pizzateig). Daneben spielen Magnetfelder eine wichtige Rolle, da geladene Teilchen (molekulare Ionen und negativ geladene Staubteilchen) den Magnetfeldlinien folgen wie Perlen auf einer Schnur, im Gegensatz zu neutralen Teilchen wie H2, das den Großteil der Materie bildet. Dies führt zu unterschiedlichen Bewegungsmustern und Zusammenstößen zwischen geladenen und neutralen Teilchen, die die Bahnen des in Richtung des Zentrums fallenden Gases und Staubes ablenken. Mitunter könnten so auch große Lücken entstehen, die sogar die Bildung von protoplanetaren Scheiben verhindern können. Leider gibt es bisher keine direkten Beobachtungen der Entstehung von protoplanetaren Scheiben, die klären könnten, welche physikalischen Prozesse ablaufen und ob die Materie im Kern der Wolke (inklusive der organischen Moleküle) in diesen Phasen erhalten bleibt. Unser derzeitiges Wissen beruht auf Scheiben in späteren Phasen ihrer Entwicklung, wie unten erklärt.

Sobald junge Sterne geboren sind, beginnen sie damit „ihre” Wolke zu zerstören. Die größte Rolle spielen hierbei starke bipolare Winde, die ober- und unterhalb der protoplanetaren Scheibe ausströmen. Dabei werden die Staubteilchen ausgedünnt bis ihre Dichte entlang der Sichtlinie zu gering wird um den zentralen Stern zu verdecken. Sobald die Wolke also dünn und durchsichtig genug geworden ist, kann die protoplanetare Scheibe direkt beobachtet werden – manchmal als scharf gezogener dunkler Streifen. Durch Beobachtungen der Strahlung des Staubes und von Moleküllinien im Radio- und Infrarot-Bereich sind diese Scheiben gut erforscht.

Zur Untersuchung, wie protoplanetare Scheiben entstehen, begannen die Astronomen damit das Molekül H2D+ (ein wichtiger Tracer für kaltes Gas [9]) mit ALMA zu beobachten. Sie konnten so den innersten Bereich eines dichten Kerns, wenige hundert Astronomische Einheiten (1 AE ist der mittlere Abstand der Erde von der Sonne), räumlich auflösen [10]. In dieser Wolke haben sich bisher noch keine Sterne gebildet. Dieser erste Nachweis von H2D+ bei hoher räumlicher Auflösung zeigt deutlich eine abgeflachte Struktur, die der einer jungen protoplanetaren Scheibe ähnelt (Abb. 4). Weitere Beobachtungen sind geplant, um mit höherer Empfindlichkeit und verbesserter spektraler Auflösung, d. h. einem genaueren Linienprofil, weitere Details zu enthüllen. So könnte man zum Beispiel innere Bewegungen nachweisen, wie Rotation um den Punkt mit der höchsten Staubdichte, der Geburtsstätte des neuen Sterns. Im Modell einer protoplanetaren Scheibe, die einen Stern umläuft, würde man genau so eine Rotation erwarten.

Derartige Beobachtungen werden dringend benötigt, um die dynamisch-chemischen Modelle für die Entwicklung eines dichten Wolkenkerns hin zur Stern- und Planetenentstehung testen und verbessern zu können. Modelle, wie sie derzeit im „Zentrum für astrochemische Studien” am MPE entwickelt und verfeinert werden.

Literaturhinweise

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Cambridge University Press (2005)
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The Milky Way in Molecular Clouds: a new complete CO survey
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CO Depletion in the Starless Cloud Core L1544
The Astrophysical Journal 523, L165-L169 (1999)
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Crapsi, A.; Caselli, P.; Walmsley, C. M.; Myers, P. C.; Tafalla, M.; Lee, C. W.; Bourke, T. L.
Probing the Evolutionary Status of Starless Cores through N2H+ and N2D+
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Our Astrochemical Heritage
The Astronomy and Astrophysics Review 20, 56 (2012)
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The dynamics of collapsing cores and star formation
Monthly Notices of the Royal Astronomical Society 446, 3731-3740 (2015)
7.
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H2D+ observations give an age of at least one million years for a cloud core
Nature 516, 219-221 (2014)
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Jiménez-Serra, I.; Testi, L.; Caselli, P.; Viti, S.
Detectability of Glycine in Solar-type System Precursors
The Astrophysical Journal 787, L33 (2014)
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Caselli, P.; van der Tak, F. F. S.; Ceccarelli, C.; Bacmann, A.
Abundant H2D+ in the pre-stellar core L1544
Astronomy and Astrophysics 403, L37 (2003)
10.
Friesen, R. K.; Di Francesco, J.; Bourke, T. L.; Caselli, P.; Jørgensen, J. K.; Pineda, J. E.; Wong, M.
Revealing H2D+ Depletion and Compact Structure in Starless and Protostellar Cores with ALMA
The Astrophysical Journal 797, 27 (2014)
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