Weltraumteleskop Herschel wirft neues Licht auf Galaxienentwicklung
Forschungsbericht (importiert) 2010 - Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik
Herschel: Europas neues Fenster zum Universum
Das größte Projekt, das am Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik (MPE) über das vergangene Jahrzehnt verfolgt wurde, war ein substantieller Beitrag zum Ferninfrarotsatelliten Herschel der europäischen Raumfahrtagentur ESA. Mit diesem Weltraumteleskop, welches einen Hauptspiegeldurchmesser von 3,5 m hat, erreicht man im immer noch wenig erforschten Wellenlängenbereich von 60 µm bis 600 µm erstmals eine Winkelauflösung und eine Empfindlichkeit, die es erlauben, die potenziellen Vorteile dieses Teils des elektromagnetischen Spektrums tatsächlich in vollem Umfang zu nutzen. Dabei geht es vornehmlich um astrophysikalische Prozesse, die verdeckt durch interstellaren Staub ablaufen und so bei den meisten anderen Wellenlängen nicht beobachtbar sind, oder um Objekte, die selbst zu kalt sind, um bei kürzeren Wellenlängen Licht abzustrahlen und deshalb nur bei diesen langen Wellenlängen beobachtbar sind. Das setzt aber auch voraus, dass die Instrumente selbst und ihre Umgebung tiefkalt sein müssen; auf Herschel sind sie deshalb in einem Kryostaten untergebracht, der beim Start mit mehr als 2000 Litern flüssigem Helium gefüllt ist.
Das MPE trug und trägt als Principal Investigator (PI)-Institut innerhalb eines europäischen Konsortiums aus 17 Instituten in 8 Ländern die Verantwortung für den Bau und Betrieb eines der drei wissenschaftlichen Instrumente an Bord des Satelliten. PACS (Photodetector Array Camera & Spectrometer) ist ein abbildendes, kombiniertes Photometer und Spektrometer für den Wellenlängenbereich 57 µm bis 210 µm [1]. Am MPE selbst wurde die komplexe Optik des Instruments entworfen sowie die bis dato empfindlichsten Ferninfrarotdetektoren entwickelt. Für den Betrieb während der Mission wurde ein "Instrument Control Centre" aufgebaut, welches nun nicht nur für den Betrieb des Instruments an Bord sondern auch für die Entwicklung von Software zur Erfassung und Auswertung der wissenschaftlichen Daten zuständig ist.
Am 14. Mai 2009 wurde Herschel – zusammen mit dem Kosmologie-Satelliten Planck – erfolgreich mit einer Ariane V-Rakete (Abb. 1) gestartet und erreichte nach knapp zwei Monaten Flug seine endgültige Umlaufbahn um den Lagrange-Punkt L2 in ca. 1,5 Millionen Kilometer Entfernung von der Erde. Von dort gesehen liegen die stärksten "Störstrahler" – also Sonne, Mond und Erde – annähernd in der gleichen Richtung, so dass ein ein größerer Teil des Himmels zu jedem Zeitpunkt für Beobachtungen zugänglich ist. Noch während der Reise zu L2 – 4 Wochen nach Start – wurde der Deckel des Kryostaten geöffnet. Die erste Testbeobachtung wurde mit PACS durchgeführt und war auf Anhieb erfolgreich. Im nächsten halben Jahr wurde noch intensiv an der Feinabstimmung von Satellit und Instrumenten gefeilt, um die Beobachtungsfähigkeit des Systems zu optimieren. Seitdem laufen die Beobachtungen nahezu reibungslos, wobei PACS mit ca. 60% überproportional an der gesamten Messzeit am Satelliten beteiligt ist. Bereits ein Jahr nach Beginn des Routinebetriebs, also Ende 2010, sind aus Beobachtungen mit PACS bereits weit über hundert referierte Veröffentlichungen hervorgegangen. Für die Bereitstellung des Instruments hat das PACS-Konsortium etwa 10% der gesamten Beobachtungszeit erhalten; das MPE hat seinen Anteil hauptsächlich auf zwei große Programme konzentriert, aus denen die wichtigsten Erkenntnisse im Folgenden beschrieben werden.
Tiefe Himmelsdurchmusterungen lösen den Infrarothintergrund auf
Mitte der 1990er Jahre entdeckte der COBE-Satellit eine kosmische Hintergrundstrahlung im fernen Infrarot, die die Erde gleichmäßig aus allen Richtungen erreicht. Sogleich wurde vermutet, dass es sich hier um die überlagerte Emission vieler Galaxien im frühen Universum handelt, nicht um ein Echo des Urknalls wie beim kosmischen Mikrowellenhintergrund. Frühere Infrarotteleskope hatten aber nicht die Empfindlichkeit und die räumliche Auflösung, um die beitragenden schwachen Galaxien einzeln nachweisen zu können.
Mit Herschel/PACS konnte jetzt etwa 80% dieses Infrarothintergrunds im Wellenlängenbereich seiner größten Helligkeit in einzelne Galaxien aufgelöst werden. Für die Beobachtungen wählt man Himmelsfelder für die es bereits vielfältige Daten [2] in anderen Teilen des elektromagnetischen Spektrums gibt, wie zum Beispiel die Felder GOODS, COSMOS und Lockman Hole im vom MPE geleiteten Beobachtungsprogramm PEP. Damit war eine rasche Identifikation der Quellen des kosmischen Infrarothintergrunds mit Galaxien bei einer typischen Rotverschiebung um z≈1 möglich und weitere Fragen der Galaxienentwicklung können untersucht werden.
Eine der Stärken von Herschel sind direkte Messungen der gesamten "kalorimetrischen" Ferninfrarotemission und somit der Sternentstehungsrate für staubreiche Galaxien. Für die allermeisten Galaxien bei hoher Rotverschiebung (Entfernung) waren hier zuvor Extrapolationen aus dem mittleren Infrarot oder dem Submillimeterbereich nötig, die mit früheren Weltraumteleskopen beziehungsweise vom Erdboden aus beobachtbar waren. Dabei geht die Annahme ein, dass die spektralen Energieverteilungen dieser Galaxien denen relativ seltener lokaler "Starburst"-Galaxien entsprechen. Bereits die ersten Beobachtungen mit Herschel zeigten, dass diese Annahme für typische Galaxien bei z≈2 nicht mehr gilt, ihre spektralen Energieverteilungen ähneln denen normaler lokaler Scheibengalaxien niederer Leuchtkraft, wie der Milchstraße, aber mit zehn- bis hundertmal größerer Sterngeburtsrate. Dieses Resultat lässt sich durch die viel höhere Häufigkeit von interstellarem Gas im frühen Universum verstehen. Während in lokalen Galaxien Sternentstehungsraten über 100 Sonnenmassen pro Jahr unweigerlich einer kompakten Region in einer wechselwirkenden oder verschmelzenden Galaxie entsprechen, kann ein solches Objekt bei z≈2 eine gasreiche Scheibengalaxie mit ausgedehnter Sternentstehung sein.
Die aus dem mittleren Infrarot extrapolierten Sternentstehungsraten müsssen also reduziert werden, Abschätzungen aus dem Submillimeter- und Radiobereich unter Annahme der lokalen Radio-Ferninfrarotkorrelation wurden dagegen bestätigt. Eine weitere Stärke von Herschel liegt in der Möglichkeit, im fernen Infrarot Sternentstehungsraten für Galaxien mit aktiven Kernen zu messen ohne von der Emission des Kerns selbst überstrahlt zu werden (Abb. 2).
Die Interstellare Materie in Infrarot-Galaxien
Ergänzend zu den Studien der Stern- und Galaxienentwicklung auf großen, kosmologischen Skalen durch tiefe Durchmusterungen mit dem PACS-Photometer erlaubt der PACS-Spektrograph detaillierte Untersuchungen der Sternentstehung in einzelnen Galaxien in Abhängigkeit von den verschiedenen physikalischen Eigenschaften der interstellaren Materie (ISM). Durch die im Vergleich zu früheren Beobachtungen enorm verbesserte räumliche Auflösung und Empfindlichkeit von Herschel/PACS ist dies nun zum ersten Mal im fernen Infrarot möglich, d. h. in einem Wellenlängenbereich, der für die ISM-Diagnose wesentliche Spektrallinien enthält und der nur wenig unter Absorption durch kosmischen Staub zu leiden hat.
Das vom MPE geleitete Beobachtungsprogramm SHINING konzentriert sich dabei auf infrarothelle Galaxien, also auf verschiedene Formen von Starburst-Galaxien und Galaxien mit einem supermassereichen schwarzen Loch im Zentrum, sogenannte AGNs. Die Infrarothelligkeit dieser Objekte beruht auf ihren enormen Energiequellen – den gewaltigen Sternentstehungsgebieten und/oder dem AGN – die aber von großen Mengen Staub umgeben sind. Solche Galaxien spielen eine wichtige Rolle in der Geschichte der kosmischen Stern- und Galaxienentwicklung.
Schon die allerersten Beobachtungen im Rahmen von SHINING haben grundlegend neue Erkenntnisse geliefert. Beispielsweise konnten zum ersten Mal überhaupt (in anderen Galaxien als unserer Milchstraße) hochangeregte Rotationsübergänge des CO-Moleküls nachgewiesen werden. Solche CO-Linien sind hervorragend geeignet, heißes und dichtes molekulares Gas zu untersuchen, welches insbesondere in der Umgebung von AGNs eine bedeutende Rolle spielt. Theoretische Modelle haben hochenergetische CO-Linien, die durch die Röntgenstrahlung aus den Akkretionsscheiben der AGNs angeregt werden, schon seit einiger Zeit vorhergesagt. Durch den erstmaligen Nachweis in den PACS-Spektren steht nun ein wichtiges neues Diagnosemittel zur Untersuchung des molekularen Gases im Zentrum von aktiven Galaxien zur Verfügung. Die Eichung und Verbesserung dieses Verfahrens im nahen Universum wird es dann auch ermöglichen, Galaxien im frühen Universum, d. h. akkretierende schwarze Löcher und die relative Bedeutung von Sternentstehung und AGNs in frühen Stadien der kosmologischen Galaxienentwicklung, auf diese Art zu untersuchen. Wegen der hohen Rotverschiebung dieser Objekte könnte dies eine wichtige Anwendung für zukünftige, im (sub)mm Bereich arbeitende Radio-Observatorien (ALMA und NOEMA) werden.
Ein weiteres Beispiel für die aufregenden SHINING-Resultate ist die Entdeckung von sogenannten molekularen Outflows in ultra-leuchtkräftigen Infrarotgalaxien (ULIRGs). Outflows, d. h. Materie, die vom Galaxienkern weg strömt, können z. B. durch Sternwinde und Supernovae in Starburstgalaxien entstehen, aber auch durch den enormen Strahlungsdruck um Starbursts und AGNs. Solche Materieströmungen spielen eine wichtige Rolle in Modellen der Galaxienentwicklung, da sie das zur Sternentstehung und Entwicklung von schwarzen Löchern benötigte Material beeinflussen und regulieren. Diese (negativen) Feedbackmechanismen durch Outflows könnten z. B. erklären, wie es zum Ende der (gemeinsamen?) Entwicklung von Sternen und schwarzen Löchern in den Galaxienzentren kommt, oder was die gemessene, überraschend gute Korrelation zwischen der Masse des zentralen schwarzen Loches und der Masse der zugehörigen Galaxie kontrolliert.
Die Beobachtung solcher Materieströmungen, insbesondere des für die Sternbildung verantwortlichen molekularen Gases, war aber bisher nur vereinzelt erfolgreich. Mit PACS ist es den Forschern am MPE nun gelungen, extrem masse- und energiereiche Outflows molekularen Gases in zahlreichen ULIRGs nachzuweisen (Abb. 3). Das Studium dieser Spektren verspricht wesentliche neue Erkenntnisse, die für die Modelle der Galaxienentwicklung wichtig sind, beispielsweise die Größenordnung der Outflows (wie Massen- und Energieinhalt), die zugrunde liegenden physikalischen Mechanismen (wie Sternwinde oder Strahlungsdruck) und die unterschiedliche Rolle, die Starbursts und AGNs dabei spielen.
Wasser in Sternentstehungsgebieten
Um auch Sternentstehung auf noch kleineren räumlichen Skalen zu untersuchen, ist das MPE an einer großen Studie von 80 galaktischen Sternentstehungsgebieten (WISH) beteiligt. Die meisten dieser Objekte sind so jung, dass sie noch tief in ihrer Geburtswolke verborgen und daher für Untersuchungen im sichtbaren Licht unzugänglich sind. Eine besondere Bedeutung kommt bei dieser Studie dem Wassermolekül zu: es kontrolliert die chemischen Reaktionen vieler anderer Moleküle und verrät viel über die Prozesse sowohl in kaltem als auch warmem Gas während der Stern- und Planetenentstehung [3]. Das Wasser in den Erdozeanen zum Beispiel, hat wohl zu einem großen Teil seinen Ursprung in gefrorenem Wassereis auf Kometen und Asteroiden. Die Verteilung von Wasserdampf und Wassereis während des gesamten Prozesses der Stern- und Planetenbildung ist daher auch von fundamentaler Bedeutung für unsere eigenen Ursprünge.
Ein hervorragendes Beispiel für die Wechselwirkung (feedback) eines jungen Sterns mit seiner Umgebung zeigt Abbildung 4.
Ausblick
Die wenigen, hier gezeigten Beispiele aus frühen Beobachtungen mit Herschel können selbstverständlich nur andeuten, welche Fülle an neuen Einblicken in das Universum in den kommenden Jahren noch zu erwarten ist. Schließlich geht es im fernen Infrarot um nicht weniger als die Hälfte des von allen Galaxien im Universum jemals abgestrahlten Lichts!