Ferne Galaxie auf dem Seziertisch
Forschungsbericht (importiert) 2006 - Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik
Die SINS-Studie
(Spectroscopic Imaging survey in the Near-infrared with SINFONI)
Unser Verständnis der Galaxienentstehung und -entwicklung hat sich in den letzten zehn Jahren deutlich verbessert, dank großer, erdgebundener Teleskope und Weltrauminstrumenten mit empfindlichen Detektoren. Die verbesserte Technik hat zu einer deutlichen Zunahme von Himmelsdurchmusterungen geführt, in allen erschließbaren Bereichen des elektromagnetischen Spektrums vom Gamma- und Röntgenbereich über die Ultraviolet-, sichtbaren und Infrarotwellenlängen bis hin zur Radiostrahlung. Diese Studien haben uns mit stetig wachsenden Galaxienkatalogen versorgt, die heute nicht nur die unmittelbare kosmische Nachbarschaft einschließen, sondern immer weiter im Raum und damit auch in der Zeit zurückreichen. Daraus hat sich ein Bild der Galaxienentwicklung etabliert, das besagt, dass etwa die Hälfte der heutigen Sternmasse, bereits in Sternen gebunden war, als das Universum nur 40% seines jetzigen Alters hatte. Damals, vor etwa 8 Milliarden Jahren, hatte die universale Sternentstehungsrate ihr Maxium durchlaufen. Ebenso war zu dieser Zeit auch die Dichte an Quasaren, den Materie verschlingenden Schwarzen Löchern in den Galaxienzentren, maximal. Parallel zu den Beobachtungen sind die theoretischen Modelle und semi-analytischen Simulationen gereift, und bieten ein allgemeines Gerüst zum Verständnis der Galaxienentstehung im Rahmen von Kosmologien mit kalter Dunkler Materie. Demnach entstehen Galaxien wenn gewöhnliches Gas in den Zentren von kollabierenden Halos aus Dunkler Materie kühlt. Diese Galaxien wachsen dann durch Kollision und Verschmelzung mit anderen Galaxien.
Trotz des beeindruckenden Fortschritts sind noch nicht die Einzelheiten verstanden, wie genau Galaxien zu ihrer Masse gekommen sind und wie sie sich im Lauf der Zeit entwickelt haben. Wann und wie schnell haben sich Galaxien verschiedener Masse gebildet? Wie wichtig waren gewaltige Kollisionen gegenüber kleineren Zusammenstößen oder ruhigem Einströmen, während der Phase in der Galaxien Materie gesammelt haben? Welche physikalischen Prozesse waren beteiligt? Welcher Zusammenhang besteht zwischen Bulge- (der fast kugelförmigen Struktur von Sternen um das Zentrum) und Scheibenbildung? Ein großer Teil unseres Wissens über junge Galaxien wurde durch Messungen der Farben von Galaxien mittels Breitband-Photometrie gewonnen. Vergleichsweise wenig spektroskopische Informationen, die mehr Details bieten, sind verfügbar. Sie bestehen meistens aus Spektren, bei denen das Licht der gesamten Galaxie gemittelt wurde. Deshalb ist nur sehr wenig über die dynamische und physikalische Struktur ferner, d.h. junger Galaxien bekannt. Die Beschreibung der Galaxienentstehung in Modellen und Simulationen bleibt ungewiss, da die komplizierte Physik der baryonischen Prozesse, die bestimmen wie Galaxien wachsen, bisher nicht durch Beobachtungen untermauert werden können.
Einer der aussichtsreichsten Wege diese Probleme mit besseren Beobachtungen anzugehen ist, einzelne Galaxien räumlich aufgelöst zu untersuchen. Bis vor kurzem waren Galaxien bei Rotverschiebungen von z ~ 1-4 (entsprechend Entfernungen von 8 – 12 Milliarden Jahren) unzugänglich für derartige Studien: Die Objekte sind lichtschwach, ihre scheinbaren Durchmesser am Himmel sind klein und wichtige spektroskopische Informationen aus dem sichtbaren Licht sind zu Wellenlängen zwischen 1 und 2.5µm ins Infrarote verschoben. Das Instrument SINFONI, das am vierten 8m-Teleskop des Very-Large-Telescopes der Europäischen Südsternwarte (ESO) in Chile montiert ist, hat diesen Wellenlängenbereich nun spektroskopisch zugänlich gemacht. SINFONI (Spectrograph for Integral Field Observation in the Near-Infrared) besteht aus dem Nahinfrarot-Spektrometer SPIFFI (Spectrometer for Infrared Faint Field Imaging), das von der submm/Infrarot-Gruppe des MPE gebaut wurde und das erlaubt, gleichzeitig hochwertige Spektren von allen Stellen im Gesichtsfeld zu messen. SPIFFI ist mit einer „adaptiven Optik (AO)“ gekoppelt, die durch eine Korrektur der Luftunruhe das „Seeing“ verbessert, und damit erlaubt, schärfere Bilder des Himmels zu bekommen. Durch diese neuen Möglichkeiten konnte unser Team am MPE einen „Spectroscopic Imaging Survey in the Near IR with SINFONI“ (SINS) durchführen, in dem mittels abbildender Infrarotspektroskopie hochrotverschobene Galaxien beobachtet wurden. Im folgenden berichten wir die wichtigsten Ergebnisse des letzten Jahres.
Detaillierte Anatomie einer fernen Galaxie mit heftiger Sternentstehung
Den zurzeit spektakulärsten Datensatz haben wir bei Beobachtungen der stark sternbildenden Galaxie BzK-15504 erhalten, die eine Rotverschiebung von z=2.38 hat, was einer Zeit entspricht, als das Universum etwa 20% seines heutigen Alters hatte. Wir konnten von einer glücklichen Kombination profitieren: Neben der Galaxie befindet sich ein geeigneter Stern zur Korrektur des Seeing mittels der adaptiven Optik, und wir hatten ausgezeichnete atmosphärische Bedingungen während der gesamten sechstündigen Beobachtung. Dies erlaubte eine Winkelauflösung von 0.15“, oder lediglich 4000 Lichtjahre hochgerechnet auf den Abstand der Galaxie; es ist der bisher genaueste Blick auf die Gasverteilung und Gasbewegung einer Galaxie in 11 Milliarden Lichtjahren Entfernung.
Die SINFONI-Beobachtungen von BzK-15504 zielten auf die Balmerlinie Hα des Wasserstoffs, die bei der Rekombination von Elektronen in Gas entsteht, das durch das Licht von heißen, jungen Sternen in Sternentstehungsgebieten photoionisiert wird. Die Ergebnisse (Abb. 1) zeigen eine große Galaxie, die etwa 53.000 Lichtjahre im Durchmesser misst und mehrere auffällige helle Knoten zeigt, die den aktivsten Sternentstehungsgebieten entsprechen. Die spektrale Messungen ermöglichen es, die relativen Bewegungen dieses Gases innerhalb der Galaxie zu untersuchen. Das System rotiert mit einer Geschwindigkeit bis zu 230 km/s in den Außenbereichen. Die große Oberflächendichte an Gas, die hohe Sternentstehungsrate und die relativ jungen Sterne legen nahe, dass eine ursprünglich sehr gasreiche Protoscheibe schnell entstanden, fragmentiert und zu Sternen geworden ist. Die morphologischen und kinematischen Einzelheiten lassen weiter vermuten, dass diese schwere, rotierende Protoscheibe, Gas auf den wachsenden Bulge aus Sternen um ein akkretierendes Schwarzes Loch leitet. Es gibt keine Hinweise auf eine größere Galaxienverschmelzung – ein erstaunliches Ergebnis angesichts der hohen Sternentstehungsrate und der schnellen Massenzunahme. Vermutlich bedeutet das, dass BzK-15504 ihre Masse durch ruhiges Einströmen erhalten hat, wie es ein Modell namens „Kalter Massenzufluss“ vorschlägt. Kleinere oder größere Galaxienverschmelzungen scheinen nur eine untergeordnete Rolle zu spielen.
Weitere Beispiele großer rotierender Scheiben im jungen Universum
Die genauen Ergebnisse bei BzK-15504 bestätigen frühere Ergebnisse von Beobachtungen an 14 sternbildenden Galaxien, die ähnliche Rotverschiebungen haben. Da diese Objekte keinen geeigneten Leitstern für die Adaptive Optik haben, wurden die SINFONI- Beobachtungen unter „natürlichen“ Seeing- Bedingungen gemacht – was eine typische Auflösung von 0.5“ bis 0.6“ ergibt. Trotz der, im Vergleich zu BzK-15504, rund drei- bis vier Mal schlechteren Auflösung, kann man grob die räumliche Verteilung der Hα-Emission bei der Mehrzahl dieser Galaxien messen. Sie erstreckt sich zum Teil über 60.000 Lichtjahre und scheint bei den größeren Systeme meistens unregelmäßig und klumpig zu sein. Das überraschendste Ergebnis war jedoch, dass die meisten Systeme eine geordnete Rotation - Rotation in einer Scheibe - aufweisen. Wegen der bei großen Rotverschiebungen höheren Anzahl von Galaxien-Verschmelzungen hatten wir erwartet, dass die meisten größeren Systeme irreguläre und chaotische Gasbewegungen zeigen würden. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Die räumliche Verteilung und das, aus der Hα Linien-Emission abgeleitete, Bewegungsprofil des ionisierten Gases der sechs größten Galaxien (Abb.2) der untersuchten Gruppe legen eine Interpretation als große, schwere, rotierende Scheiben nahe. Die generellen Eigenschaften der meisten von ihnen ähneln denen, die bei BzK-15504 mit größerer Genauigkeit gemessen wurden, was auf eine ähnliche Entstehungsgeschichte hindeutet.
Bedeutung für die Entstehung und Entwicklung von Galaxien
Unsere SINFONI-Daten beschreiten einen neuen Weg, wie man die dynamischen Eigenschaften und die Entwicklung ferner Galaxien untersuchen kann. Eine der wichtigsten Größen, die damit abgeleitet werden können, ist der spezifische Drehimpuls, der Drehimpuls pro Masse. Interessanterweise ist er bei BzK-15504 und den anderen oben beschriebenen Galaxien beinahe so groß, wie bei heutigen Spiralgalaxien. Außerdem könnten diese Ergebnisse bedeuten, dass das Gas in diesen Galaxien einen spezifischen Drehimpuls hat, der vergleichbar mit dem ist, den unterliegende Halos aus Dunkler Materie haben, aus denen sich die Galaxien gebildet haben. Dies wiederum würde bedeutet, dass wenig Drehimpuls während des Kollapses der baryonischen Materie verloren gegangen ist.
Eine interessante Zahl bezüglich der dynamischen Entwicklung von Galaxien ist das Verhältnis von Rotationsgeschwindigkeit zu Geschwindigkeiten ungeordneter Bewegungen. Dieses Verhältnis kann für die am besten aufgelösten Galaxien ermittelt werden. Die Werte liegen zwischen denen für druckstabilisierte Systeme, wie heutige Elliptische Galaxien, und denen für rotationsstabilisierte Systeme, wie heutige Spiralgalaxien, zu denen auch die Milchstraße gehört. Dies bedeutet, dass die beobachteten Scheiben dynamisch heiß, geometrisch dick und möglicherweise sehr gasreich sind, weshalb sie instabil gegenüber Sternentstehung und Fragmentierung wären.
Die Eigenschaften einiger der Galaxien, die mit SINFONI beobachtetet wurden, ähneln denen, die man erhält, wenn man gasreiche galaktische Scheiben simuliert. Insbesondere denen, in denen klumpige, fragmentierende Scheiben instabil sind und Sternentstehungsgebiete wegen dynamischer Reibung an der Gasscheibe zum Massenzentrum sinken. So entsteht der zentrale Bulge innerhalb einer Milliarde Jahre. Dies könnte der Entwicklungsweg für Galaxien mit einem schweren Bulge sein, die man im heutigen Universum beobachtet.
Unsere SINFONI-Beobachtungen ergeben die bisher detailliertesten Einblicke in die Struktur und die Kinematik von Galaxien in einem frühen Stadium ihrer Entwicklung. Ab 2007 wird das Laserleitstern-System PARSEC, das zum Teil von der submm/Infrarot-Gruppe am MPE gebaut wurde, einsatzbereit sein. Es erlaubt dann, wesentlich mehr Galaxien auf kleinsten räumlichen Skalen zu untersuchen, was ein wichtiger Schritt zum Verständnis der Galaxienentstehung und -entwicklung sein wird. BzK-15504 deutete in beeindruckender Weise, die wissenschaftlichen Möglichkeiten von adaptiver Optik unterstützter abbildender Nahinfrarotspektroskopie an. Während wir unser SINS-Programm fortsetzen und die reichhaltigen Datensätze von SINFONI weiterhin ausloten, freuen wir uns auf die zu erwartenden Fortschritte.