Erste Ergebnisse von der Gamma-Astronomie Mission INTEGRAL
Forschungsbericht (importiert) 2003 - Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik
Die ESA Weltraummission INTEGRAL (International Gamma-Ray Astrophysics Laboratory)
zur Erforschung des Himmels im harten Röntgen- und weichen Gammastrahlen-Bereich (20 keV bis 10 MeV) wurde am 17. Oktober 2002 von Baikonur aus gestartet und ist jetzt auf dem besten Wege zu einem wichtigen Meilenstein in diesem Forschungsgebiet zu werden! INTEGRAL verfolgt vor allem zwei Messziele: das eine ist hoch auflösende Gamma-Linienspektroskopie kosmischer Objekte und das andere ist die Abbildung von Himmelsregionen mit bisher unerreichter Auflösung und Empfindlichkeit.
Zu diesem Zweck befinden sich zwei Hauptteleskope an Bord: das Spektrometer SPI und der Imager IBIS, der wiederum zwei Detektoren enthält: ISGRI für den Niederenergiebereich (20 keV bis 1 MeV) und PICSIT für den Hochenergiebereich bis 10 MeV. Ergänzt werden beide Teleskope durch zwei Monitore, einen Röntgenmonitor JEM-X (3-35 keV) und einen optischen Monitor (OMC). Abbildung 1 zeigt ein Schemabild des Satelliten.
INTEGRAL wird als Observatorium betrieben: Der größte Anteil an Beobachtungszeit (65% im ersten Jahr, 70% im zweiten Jahr und 75% danach) steht der Allgemeinheit zur Verfügung, die restliche Zeit gehört dem INTEGRAL-Science Team der ESA. Die ursprünglich auf 2 Jahre angesetzte Missionsdauer wurde kürzlich von der ESA um 4 Jahre bis 2008 verlängert. Das ist insofern wichtig, als dass kosmische Linienmessungen wegen der geringen Photonenflüsse lange Beobachtungszeiten von typisch 1 Monat pro zu untersuchendem Objekt erforderlich machen.
Die zwei Hauptteleskope und die beiden Monitore schauen stets in die gleiche Richtung. Die Gesichtsfelder betragen 16° (SPI), 9° (IBIS), 4,8° (JEM-X) und 5° (OMC). Die Spektralauflösung von SPI liegt im 0,1%-Bereich (z.B.: 2,5 keV bei 1 MeV), und die Bildauflösung von IBIS beträgt 12 Bogenminuten. Das Messprinzip von SPI, IBIS und JEM-X beruht auf dem Prinzip der kodierten Masken: Gammastrahlen von verschiedenen Himmelsobjekten fallen durch unterschiedliche Bereiche einer kodierten Maske, bevor sie auf einen ortsauflösenden Detektor fallen. Das resultierende Schattenmuster auf der Detektorfläche enthält die Information über die Positionen der Himmelsobjekte im Gesichtsfeld. Als Detektoren verwendet SPI gekühlte (85K) Germanium-Detektoren und IBIS CdTe- und CsJ- Detektoren.
Nach einer zweimonatigen Eich- und Verifikationsphase im November und Dezember 2002, begann das offizielle Beobachtungsprogramm. INTEGRAL wurde meist auf die Scheibe der Milchstraße ausgerichtet. Am tiefsten wurde die Region um das galaktische Zentrum untersucht. Bereits jetzt gibt es eine Fülle sehr interessanter Ergebnisse. Bisherige Höhepunkte sind spektroskopische Gammalinienmessungen von Nukleosyntheseprodukten, ein erster Katalog von harten Röngtenquellen, Untersuchungen des "diffusen" galaktischen Hintergrundes und die Entdeckung von einigen Gamma-Burst Quellen. Diese vier Schwerpunkte werden jetzt ausführlicher beschrieben.
Gammalinienspektroskopie
Gammalinienspektroskopie ist wichtig für die Frage der Entstehung der Elemente im Universum. Bei den Elementbildungsprozessen werden neben stabilen Elementen radioaktive Isotope erzeugt; einige davon sind Gammastrahler. Durch ihre Beobachtung lassen sich Theorien zur Nukleosynthese direkt testen. Die Zerfallszeiten der infrage kommenden Isotope reichen von Monaten bis zu ca. 2 Millionen Jahren. Die kurzzeitigen Zerfallszeiten erlauben die Beobachtung solcher Objekte (wie Supernovae oder Novae), in denen in jüngster Vergangenheit Nukleosynthese stattfand. Die Gammalinien dieser Objekte sind wegen der hohen Expansiosgeschwindigkeiten des herausgeschleuderten Materials verbreitert. Wir warten gespannt, dass in unserer Nähe eine Supernova (< 6 Mpc) oder Nova (< 1 kpc) stattfindet, um dann die Linien mit INTEGRAL beobachten zu können.
Das Material von langlebigen Isotopen (~ Millionen Jahre) ist inzwischen abgebremst worden, und daher sind die dazugehörigen Gammalinien nicht mehr verbreitert, sondern relativ scharf. Das bisher am ausgiebigsten studierte Isotop dieser Art ist 26Al, mit einer Emissionslinie bei 1.809 MeV (mittlere Zerfallszeit: 1.04x106 Jahre). SPI hat das Profil dieser Linie aus der Zentralregion der Milchstraße und erstmals auch aus der Cygnus-Gegend (73° < l < 93°), |b| < 7°) gemessen (siehe Abb. 2). Beide Himmelsregionen waren von der Himmelsdurchmusterung des Compton-Teleskopes COMPTEL als helle Gegenden im 26Al-Licht bekannt gewesen. Die Linien sind in der Tat scharf: Die Geschwindigkeit der zerfallenden 26Al-Kerne ist definitiv kleiner als 500 km/sec. Wenn sich die Genauigkeit der Profilmessung in Zukunft (durch höhere Statistik) noch verbessert, können wir erwarten, aus den Daten Informationen über die Dynamik der Ejektionsprozesse des 26Al zu erhalten.
Eine weitere, sehr interessante Gammalinie mit relativ scharfem Profil ist die Elektron-Positron Annihilationslinie bei 511 keV. Eine Durchmusterung der Milchstraße durch SPI hat eine starke Emission dieser Linie nur in einer Region von etwa 8° Durchmesser um das Zentrum der Milchstraße gefunden. Aus dem gemessenen Linienfluss lässt sich eine Elektron-Positron Annihilationsrate von (1-2)x1043 /sec ableiten. Die Herkunft der Positronen ist bisher ein Rätsel. Der Zerfall radioaktiver Isotope mit β+-Emission, die bei Supernovae oder Novae erzeugt werden, scheint nicht auszureichen. Kürzlich ist spekuliert worden, dass die Positronen bei der Annihilation von Teilchen der "Dunklen Materie" erzeugt werden. Da die Positronen bis zu ihrer Annihilation im Mittel ca. 105 Jahre leben und in dieser Zeit ihre ursprüngliche kinetische Energie verloren haben, ist die 511 keV- Linie relativ scharf. SPI hat ein Linienprofil von 2,76 keV Breite gemessen. Im Prinzip lassen sich aus der Linienbreite Rückschlüsse auf die physikalischen Bedingungen in dem Medium der Annihilation ziehen, da die Breite von der Temperatur, der Dichte und dem Ionisierungsgrad abhängt.
INTEGRAL- Durchmusterung nach harten Röntgenquellen
Das Studium und die Identifikation harter Röntgenquellen im Spektralbereich 20 keV bis
200 keV ist das Haupt-Thema von IBIS/ISGRI. Ein erster IBIS-Katalog enthält im Zentralbereich der Milchstraße (-30° < l < +30°) 123 Quellen. Jede der Quellen konnte auf 1 bis 3 Bogenminuten Genauigkeit lokalisiert werden. Die meisten Quellen (76) sind Röntgenbinärsysteme, bei denen das kompakte Objekt entweder ein Neutronenstern oder ein Schwarzes Loch ist. In 26 Fällen war die Identifikation mit einem bekannten Objekt nicht möglich.
Eine Überraschung war die Entdeckung einer neuen Klasse von stark absorbierten Röntgen-Binärsystemen durch IBIS/ISGRI. Die erste dieser Quellen mit Namen IGR J6318-4848 war im Januar 2003 entdeckt worden. Bei einer anschließenden Beobachtung mit ESA’s Röntgen-Observatorium XMM-Newton konnte die Quelle genau lokalisiert werden, und auf Grund spektroskopischer Beobachtungen wurde gefolgert, dass es sich um ein Binärsystem mit einem massiven Begleiter handeln sollte. Abbildung 3 zeigt das von XMM und IBIS/ISGRI gemessene Spektrum zwischen 3 keV und 80 keV. Am unteren Ende des Spektrums (um 5 keV herum) sieht man eine starke photoelektrische Absorption mit einer Eisen-Absortionskante bei 7,1 keV und verschiedenen Emissionslinien. Die absorbierende Säulendichte ist von der Grössenordung 2x1024 cm-2. Es wird vermutet, dass das absorbierende Gas aus dem Binärsystem selbst stammt und wahrscheinlich mit dem Akkretions-Fluss oder dem stellaren Wind des massereichen Sterns zu tun hat.
In der Zwischenzeit hat INTEGRAL 8 weitere, ähnliche Quellen entdeckt. Sie könnten möglicherweise bei der Erklärung des diffusen galaktischen Hintergrundes eine Rolle spielen (s. nächstes Kapitel).
Diffuser Galaktischer Hintergrund
Der Ursprung des diffusen galaktischen Röntgen- und Gammahintergrundes ist seit seiner Entdeckung Ende der sechziger/Anfang der siebziger Jahre ein ungelöstes Problem. Im Prinzip können relativistische Elektronen der kosmischen Teilchenstrahlung den Hintergrund über den Bremstrahlungsprozess oder durch inverse Comptonstösse mit niederenergetischer Photonenstrahlung erzeugen, aber die gemessene Leuchtkraft des Hintergrundes ist für diese Hypothese ein energetisches Problem (sie ist zu hoch!).
Jetzt liegen neue Messungen vor: Mit IBIS/ISGRI und SPI ist es gelungen, die Quellen von der wirklich diffusen Strahlung zu trennen (das war bei früheren Messungen entweder wegen schlechter Bildauflösung oder mangelnder Sensitivität nicht möglich gewesen). Als Ergebnis findet man, dass nur 20% bis 15% der gesamten Strahlung im Energiebereich oberhalb 20 keV aus dem inneren 60°-Bereich der Milchstraße diffuser Natur ist; der Rest stammt von Quellen. Damit hat das energetische Problem für das Elektronen-Bremsstrahlungsmodell an Schwere verloren, und die jetzt vorliegenden Integral-Ergebnisse werden zu einer neuen Diskussion über den Ursprung des Hintergrundes führen.
Gamma-Burst Quellen
Obwohl Gamma-Burst-Astronomie für INTEGRAL nur ein sekundäres Ziel war, so hat sich in den ersten 1 ½ Jahren der Mission herausgestellt, dass INTEGRAL sehr schnell (innerhalb von ca. 10 bis 15 Sekunden) Informationen über das Stattfinden eines Gamma-Bursts der wissenschaftlichen Allgemeinheit zur Verfügung stellen kann. Das ist insofern wichtig, als damit die Beobachtung des Bursts in anderen Spektralbereichen initiiert werden kann. Zu diesem Zweck wurde am "INTEGRAL Science Data Center" in Versoix bei Genf ein "INTEGRAL Bursts Alert System" entwickelt, das die Burstposition mit Bogenminuten Genauigkeit innerhalb einiger Sekunden bestimmt. Gegenwärtig gibt es kein Satellitenprojekt, das Burstpositonen schneller messen kann. Bis zum 30. April 2004 wurden insgesamt 12 Bursts im Gesichtsfeld von IBIS und SPI registriert, und ihre Positionen, Energiespektren und Lichtkurven gemessen. Für die Hälfte dieser Bursts gelang anschliessend eine Beobachtung des "Nachleuchtens" im optischen und/oder im Röntgenbereich. Besondere Beachtung fand der Burst vom 3.12.2003 (GRB 031203), bei dem an Hand von spetroskopischen Beobachtungen im Optischen eine Verknüpfung mit einer Supernova-Explosion gefunden worden ist. Wir gehen derzeit davon aus, dass wir eine Supernova dann als Burst-Quelle sehen, wenn der Strahl gerichtet auf uns zielt.
Darüber hinaus wird auch das omnidirektional empfindliche Antikonsidenzsystem von SPI als empfindlicher Gamma-Burst Detektor betrieben: es misst Lichtkurven mit einer Zeitauflösung von 50 milli-sec. Mit dieser Zeitinformation lassen sich die Burstpositionen unter Einbeziehung anderer Satelliten durch geometrische Triangulation bestimmen. In den ersten 15 Monaten der Mission hat INTEGRAL auf diese Weise 256 Bursts registriert, 111 davon wurden auch von anderen Satellitenexperimenten gesehen.
Zusammenfassung
Das Gros der bisherigen INTEGRAL-Ergebnisse wurde von IBIS/ISGRI und von SPI erzielt. Beide Instrumenten funktionieren ausgezeichnet.
Die meisten Beobachtungen und Analysen befassten sich mit Röntgenbinärsystemen. Das liegt daran, dass sich hier durch relativ kurze Beobachtungszeiten von der Größenordnung ~1 Tag bereits signifikante Ergebnisse erzielen lassen. Die erste Himmelsdurchsuchung im Zentralbereich der Milchstraße mit über 100 Quellen hat unser Wissen über den diffusen Röntgen- und Gammahintergrund revidiert, und die Entdeckung von stark absorbierten Binärsystemen als neue Klasse harter Röntgenquellen kam als Überraschung. Die gemeinsame Beobachtung dieser Objekte durch XMM-Newton und INTEGRAL hat sich als besonders fruchtbar erwiesen.
Auf dem Gebiet der Gammalinienastronomie hat SPI seine ausgezeichneten Fähigkeiten bewiesen, hochauflösende Spektroskopie zu betreiben. In Anbetracht der kleinen Signal-Rausch-Verhältnisse von ~1 % bei der Messung von Linien ist es erstaunlich, dass erste Ergebnisse über die Profile der 1.809 MeV-Linien und der 511 keV-Linie bereits jetzt vorliegen. Bemerkenswert ist auch die Beobachtung verschiedener Linien bei dem solaren Flare vom 28. Oktober 2003.
Auf dem Gebiet der Gamma- Burst Astronomie ist INTEGRAL gegenwärtig der schnellste "Trigger-Lieferant" aller existierenden Satellitenexperimente.
Wir können daher zuversichtlich sein, dass INTEGRAL unsere Erwartungen an die Wissenschaft erfüllen wird, vielleicht mit kleinen Abstrichen bei der Empfindlichkeit, die jedoch zumindest teilweise durch die Verlängerung der Mission bis ins Jahr 2008 ausgeglichen werden wird.
Weiterführende Literatur:
Astronomy und Astrophysics, Vol. 411 No 1, November III, 2003