Gigantischer Strahlungsblitz am Röntgenhimmel: Wenn ein massereiches Schwarzes Loch einen Stern zerreisst
Forschungsbericht (importiert) 2003 - Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik
Ein extrem energiereicher Ausbruch von Röntgenstrahlung aus dem Zentrum der Galaxie RXJ1242-11, die sich in knapp einer Milliarde Lichtjahren Entfernung befindet, wurde mit Röntgenteleskopen nachgewiesen. Mit dem Röntgensatelliten ROSAT wurde bereits vor einigen Jahren eine sehr ungewöhnliche Quelle von Röntgenstrahlung am Himmel entdeckt. Im Maximum der Helligkeit war diese Galaxie viele tausendmal heller im Röntgenlicht als ihre Milliarden von Sternen zusammengenommen. Im sichtbaren Licht jedoch handelt es sich um eine völlig normale, unscheinbare Galaxie. Um ihrem Rätsel auf die Spur zu kommen, wurde die Galaxie jetzt mit dreien der leistungsstärksten Observatorien im Erdorbit, dem NASA-Satelliten Chandra, und dem ESA-Satelliten XMM-Newton, und dem Hubble Space Teleskop, angeschaut. Die Chandra-Beobachtung zeigte, dass die Röntgenstrahlung dramatisch abgefallen war. Die Röntgenquelle war jedoch nicht ganz vom Himmel verschwunden, sondern wir sehen immer noch eine Art "Nachglühen" des einst hellen Flares. Chandra zeigte auch, dass das Röntgenlicht geradewegs aus dem Kern der Galaxie stammt.
Die im Maximum erreichte Leuchtkraft des Galaxienkerns war enorm - vergleichbar der Leuchkraft von Quasaren, den leuchtkräftigsten langlebigen Objekten im Universum. Die ungeheuren freigesetzten Energiemengen führen uns praktisch unweigerlich auf ein sehr massereiches Schwarzes Loch im Kern der Galaxie. Das beobachtete Ereignis hatte genau die Eigenschaften, die Theoretiker für den Fall des Zerreissens eines Sternes durch ein Schwarzes Loch vorausgesagt hatten. Kommt ein Stern dem Schwarzen Loch im Kern der Galaxie zu nahe, spürt er im starken Gravitationsfeld des Schwarzen Lochs immer stärkere "Gezeitenkräfte". Er wird zunächst stark deformiert, schließlich praktisch völlig vom Schwarzen Loch zerrissen.
Gezeitenkräfte, wenn auch in "sanfterer" Form und ausgelöst durch die Wirkung von Mond und Sonne, kennen wir auch auf der Erde. Sie erzeugen Ebbe und Flut. Gezeitenkräfte waren es auch, die den Kometen Shoemaker-Levy zerrissen, bevor seine Trümmer auf den Planeten Jupiter stürzten.
Was geschieht, nachdem der Stern zerissen wurde? Das Schwarze Loch verleibt sich einen Grossteil der stellaren "Trümmer" ein. Bei dem Einströmen auf das Schwarze Loch heizen sich die stellaren Überreste stark auf. Dies erzeugt schließlich leuchtkräftige Röntgenstrahlung, die mit Röntgenobservatorien nachgewiesen und zum ersten Mal genauer untersucht wurde. Um die Leuchtkraft, die im Maximum des Strahlungsausbruches beobachtet wurde, aufrecht zu erhalten, muss Materie von dem Äquivalent von einer Erde alle 10 Minuten von dem Schwarzen Loch verschluckt worden sein! Die insgesamt freigesetzte Energie ist enorm: es handelt sich um ca. 1044 Watt (1051 erg/s).
Wie sähe dieses Ereignis aus, wenn von einem erdähnlichen Planeten innerhalb der fernen Galaxie betrachtet? Oder, anders formuliert, was wäre, wenn solch ein Ereignis im Zentrum unserer eigenen Galaxis stattfinden würde? Abschätzungen zufolge sollte im Mittel etwa alle zehntausend Jahre ein Stern vom massereichen Schwarzen Loch im Herzen unserer Milchstraße zerrissen werden. Im Röntgenlicht würde dann das Zentrum unserer Galaxis vorübergehend hundert Milliarden mal (!) leuchtkräftiger werden. Hätten wir einen unverhüllten Blick auf das Galaktische Zentrum, würde es - am Röntgenhimmel - fast so hell strahlen wie unsere Sonne. Die Detektoren der Röntgenobservatorien XMM-Newton und Chandra würden stark beschädigt werden, würden sie direkt in eine solch helle Quelle schauen.
Die Eigenschaften der neuen Generation von Röntgenobservatorien, XMM und Chandra, waren entscheidend, um dem Rätsel dieser Galaxie auf die Spur zu kommen. Chandra erlaubte insbesondere, die Quellposition so genau wie möglich festzulegen. Mit ROSAT konnte vor mehreren Jahren nur eine grobe Himmelsposition des Röntgenblitzes ermittelt werden. Erstmals in der Röntgenastronomie erzielt Chandra sehr hohe räumliche Auflösung (etwas besser als 1 Bogensekunde). So konnte mit diesem Satelliten nun bestätigt werden, dass tatsächlich die Galaxie Ursprung des ungewöhnlichen Strahlungsausbruches war, und zudem, dass die Emission dem Kernbereich entstammte. Mit XMM-Newton konnte zum ersten Mal das "Spektrum" des Nachglühens des Strahlungsausbruches vermessen werden. So wurde mit XMM-Newton festgestellt, dass das Röntgenspektrum die charakteristische Form zeigt, die man von Materie unter den extremen Bedingungen in der Nähe eines Schwarzen Lochs tatsächlich erwartet. Mit dem Weltraumteleskop Hubble schließlich wurde bestätigt, dass es sich bei RXJ1242-11 tatsächlich um eine im sichtbaren Licht völlig unscheinbare, nicht-aktive Galaxie handelt, die keine weiteren auffälligen Merkmale zeigt.
Nach RXJ1242-11 wurden kürzlich auch zwei weitere "Röntgenausbrüchler" mit Chandra angeschaut. Während der kurzen Beobachtungen konnte fast keine Röntgenstrahlung aus ihrem Kernbereich mehr nachgewiesen werden. Verglichen mit dem Maximum ihrer Strahlungsausbrüche macht dies die Amplitude ihrer Variabilität gigantisch: die Galaxie NGC 5905 fiel um einen Faktor 1000 ab, die Galaxie RXJ1624+75 sogar um einen Faktor 6000. Solch enorme Variabilität hat man niemals zuvor von Galaxien beobachtet!
Mit all den neuen Beobachtungen haben wir nun exzellente Hinweise darauf, dass in den Zentren der drei "Röntgenausbrüchler" supermassereiche Schwarze Löcher lungern. Diese Schwarzen Löcher konnten nur dadurch aufgespürt werden, dass sie Sterne, die ihnen zu nahe gekommen sind, komplett zerrissen und "verspeist" haben. Diese Ergebnisse zeigen auch, welch dramatischen Einfluss Schwarze Löcher auf die Sterne ihrer Umgebung haben können.
Der Nachweis und die Untersuchung solcher Strahlungsausbrüche ist für verschiedene Kerngebiete der Astrophysik von großer Bedeutung, die von der Galaxienentstehung, über das Wachstum Schwarzer Löcher, bis hin zu Themen der Allgemeinen Relativitätstheorie reichen. Strahlungsflares sind die sicherste Methode, massereiche Schwarze Löcher in fernen (optisch nicht-aktiven) Galaxien zu identifizieren. Die dabei ausgesandte, hochenergetische Röntgenstrahlung spiegelt die Bedingungen in der unmittelbaren Nähe des Schwarzen Lochs wieder. Dies gibt letztendlich auch Hinweise auf Massen und Spins der Schwarzen Löcher, und damit auf deren Entstehung/Entwicklung in der "Frühzeit" des Universums.
Die neuen Ergebnisse helfen uns auch zu verstehen, wie Schwarze Löcher "gefüttert" werden. Das Einfangen und Zerreissen von Sternen durch Schwarze Löcher ist - neben Akkretion von interstellarem Medium, und der Verschmelzung zweier Löcher - einer der drei Hauptmechanismen, die zum Wachstum Schwarzer Löcher beitragen. Welcher Prozess tatsächlich dominiert, ist derzeit noch Gegenstand der Forschung. Tatsache ist, dass einige Schwarzen Löcher enorme Massen besitzen. Zum Beispiel bringt es dasjenige im Kern der Galaxie RXJ1242-11 auf eine Masse von ca. 100 Millionen Sonnenmassen. Es muss im Laufe der Zeit über einen oder mehrere der eben erwähnten Mechanismen nach und nach angewachsen sein.
Zukünftige "Röntgen-Himmelsdurchmusterungen", wie die der geplanten Mission "DUO" würden eine entscheidende Rolle beim Auffinden weiterer Röntgenflares spielen. Der intensive Strahlungsblitz würde auch das, das Schwarze Loch umgebende, Material, welches sonst schwer nachweisbar ist, vorübergehend hell anstrahlen, und damit für Astronomen in einem gigantischen "Lichtecho" sichtbar machen. Ähnlich, wie sich ein im Dunkeln Verirrter orientieren könnte, wenn seine Umgebung vorübergehend durch einen Blitz aufgehellt würde, könnte das "Lichtecho" des Strahlungflares eines zerrissenen Sterns den Astronomen dann wichtige Informationen über die Bedingungen in den Kernbereichen von Galaxien liefern, die teils noch im Dunklen liegen.