JWST gibt Aufschluss über die Struktur von interstellarem Wassereis

4. Juli 2024

Mit Hilfe des JWST gelang es einem Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, darunter Paola Caselli, Barbara Michela Giuliano und Basile Husquinet vom MPE, tief in die dichten Wolkenkerne vorzudringen und bislang verborgene Details des interstellaren Eises zu enthüllen. Für die Studie, die sich auf die Region Chamaeleon I konzentriert, verwendete das Team die NIRCam des JWST, um spektroskopische Linien von Hunderten von Sternen hinter der Staubwolke zu messen. Zum ersten Mal wurden dabei schwache spektroskopische Merkmale entdeckt, die als "baumelnde OH" bekannt sind und auf nicht vollständig im Eis gebundene Wassermoleküle hinweisen. Diese Merkmale könnten die Porosität und Veränderung von Eiskörnern während ihrer Entwicklung von Molekülwolken zu protoplanetaren Scheiben nachzeichnen. Mit dieser Entdeckung wird das Verständnis der Eiskornstruktur und ihrer Rolle bei der Planetenbildung erweitert.

Die beispiellose Empfindlichkeit des JWST ermöglicht es den Forschern, das Eis tief in den dichten Wolkenkernen zu untersuchen, wo die Extinktionswerte so hoch sind, dass sie bisherigen Beobachtungen entgangen sind. Diese Sichtlinien sind das fehlende Bindeglied zwischen der anfänglichen Bildung von Eis auf der Oberfläche von Staubkörnern in Molekülwolken und der Aggregation von Eiskörnern zu eisigen Planetesimalen, ein noch wenig verstandener Prozess, der in der protoplanetaren Scheibe um einen neuen Stern stattfindet. Ein tiefer Blick in die Geburtsstätte von Sternen liefert nun neue Anhaltspunkte für diese Veränderungen der Eiskörner.

Im Rahmen des Ice Age-Programms, das auf die Region Chamaeleon I abzielt, eine dichte Wolkenregion in der Nähe unserer Milchstraße, haben Beobachtungen des dichtesten Teils der Wolke mit dem NIRCam-Instrument des JWST gleichzeitige spektroskopische Messungen der Sichtlinien von Hunderten von Sternen hinter der Wolke ermöglicht. Das von diesen Sternen emittierte Licht interagiert beim Durchqueren der Wolke mit Eiskörnern, bevor es vom großen Spiegel des JWST eingefangen und detektiert wird.
Bisher konnten die größeren, intensiven Absorptionsmerkmale gemessen werden, die mit den Hauptbestandteilen des Eises, nämlich Wasser, Kohlendioxid, Kohlenmonoxid, Methanol und Ammoniak, zusammenhängen. Eingehende Untersuchungen der Positionen und Profile der schwachen spektroskopischen Merkmale geben nun Aufschluss über die physikalischen Bedingungen des Objekts.

Hier gelang der erste Nachweis einer bestimmten Gruppe von sehr schwachen Banden, die nur mit einem kleinen Teil der Wassermoleküle im Eis verbunden sind. Astrophysiker haben diese spektroskopischen Merkmale bereits vor Jahrzehnten in Laboreis nachgewiesen und bezeichnen sie als "dangling OH". 
Sie entsprechen Wassermolekülen, die nicht vollständig im Eis gebunden sind, und können so Oberflächen und Grenzflächen innerhalb der Eiskörner nachzeichnen. 

Die " dangling OH"-Spuren liegen in einem Spektralbereich, der vom Boden aus nicht einsehbar ist. Obwohl seit den 1990er Jahren aktiv nach ihnen gesucht wurde, verfügten die bisherigen Weltraumobservatorien, die diesen Spektralbereich abdeckten, nicht über die nötige Kombination aus spektraler Auflösung und Empfindlichkeit, um sie aufzuspüren, und lieferten nur obere Grenzwerte. Jetzt, in der JWST-Ära, können diese Signaturen genutzt werden, um die Veränderung von Eiskörnern auf dem Weg zur Planetenbildung nachzuvollziehen. Seit langem wird vermutet, dass diese Signaturen, wenn sie entdeckt werden, dazu verwendet werden könnten, die Porosität der Eiskörner nachzuvollziehen, d. h. ihr Vorhandensein würde auf "flauschige" Körner mit hoher Porosität hinweisen, während ihr Fehlen Verdichtung und Aggregation signalisieren würde. Obwohl diese einfache Interpretation nach wie vor umstritten ist, bedeutet der erfolgreiche Nachweis dieser Signaturen, dass nun in verschiedenen Umgebungen und zu verschiedenen Zeiten während der Sternentstehung nach ihnen gesucht werden kann, um festzustellen, ob sie als Indikator für die Entwicklung des Eises unter verschiedenen Bedingungen verwendet werden können oder nicht.

Die Entdeckung der "Dangling Bond"-Eigenschaft von Wasser in den Eismänteln zeigt, wie wichtig die Astrophysik im Labor für die Interpretation der JWST-Daten ist", sagt Barbara Michela Giuliano, eine der Autorinnen. "Detaillierte Informationen über die physikalischen Eigenschaften der beobachteten Eismäntel erfordern immer noch umfangreiche Unterstützung aus dem Labor, um die spektralen Eigenschaften zu entschlüsseln, die in dichten Regionen des interstellaren Mediums und protoplanetaren Scheiben beobachtet werden. Hier am Center für astrochemische Studien (CAS) sind wir froh, diese Unterstützung leisten zu können", fügt sie hinzu.

"Die hohe Empfindlichkeit des JWST in Verbindung mit beeindruckenden Fortschritten in der Laborastrophysik ermöglicht es uns endlich, die physikalische Struktur und chemische Zusammensetzung von interstellarem Eis im Detail zu untersuchen", sagt Paola Caselli, die - zusammen mit ihrem Doktoranden Basile Husquinet - ebenfalls zu der Arbeit beigetragen hat. Dies sei von entscheidender Bedeutung, um strenge Vorgaben für die chemisch-dynamische Modellierung zu machen, die zur Rekonstruktion der astrochemischen Geschichte von interstellaren Wolken über protoplanetare Scheiben bis hin zu Sternsystemen  erforderlich sei. "Es ist aufregend, Teil dieses Unterfangens zu sein", schließt Caselli. 

Diese Studie zeigt, dass in der Wolke potenziell "flauschige" Eiskörner vorhanden sind, die sich auf die Zusammensetzung auswirken, die in diesen Regionen auftreten kann, und somit auf den Grad der chemischen Komplexität, die sich aufbauen kann. Die Entdeckung öffnet auch ein neues Fenster für die Untersuchung der Planetenbildung, da diese spektralen Merkmale es letztendlich ermöglichen, ein Bild von der räumlichen Verteilung und Variation von Eis zu machen sowie davon, wie es sich auf seiner Reise von Molekülwolken zu protoplanetaren Scheiben und Planeten entwickelt.

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