MPE-Direktor Reinhard Genzel und Bundespräsident Steinmeier besichtigen gefährdeten Teleskopstandort in Chile
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier besuchte in Begleitung von Reinhard Genzel, Direktor des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik (MPE), das Paranal-Observatorium der ESO in Chile. Durch den geplanten Bau einer Industrieanlage in unmittelbarer Nähe zum Observatorium ist der Standort als einer der weltweit führenden astronomischen Einrichtungen jedoch existenziell bedroht.

Genzel wie das MPE sind seit Jahrzehnten mit dem Paranal verbunden. Sie lieferten mit Gravity ein entscheidendes Instrument, mit dem die vier 8-Meter-Teleskope des Very Large Telescope VLT der ESO zu einem großen, virtuellen Teleskop zusammengeschaltet werden können. Diese Technologie ermöglichte die Beobachtungen, die zur Entdeckung des supermassereichen Schwarzen Lochs im Zentrum der Milchstraße führten, wofür Reinhard Genzel 2020 mit dem Physiknobelpreis geehrt wurde.
Aktuell wird am VLT mit Gravity+ ein Upgrade installiert, das ebenfalls federführend vom MPE entwickelt wird. Mit Adaptiver Optik, Laserleitsternen und erweitertem Weitwinkel-Gesichtsfeld sollen noch tiefere Blicke ins Universum realisiert werden.
Und auch beim künftigen Mega-Projekt der ESO, dem Extremely Large Telescope ELT, spielt das MPE eine wichtige Rolle. So liefert das Institut mit der 6-Meter-hohen Kamera MICADO eines der beiden Hauptinstrumente des ELT, das bei Fertigstellung in einigen Jahren etwa die Größe des Kolosseums in Rom erreichen wird.
Forschungsstandort bedroht
Das Paranal-Observatorium ist also ein weltweit führender Standort für astronomische Spitzenforschung – doch seine Zukunft ist akut bedroht. Nur wenige Kilometer von ELT und VLT plant der US-Energieversorger AES Corporation den Bau einer industriellen Großanlage im Umfang von mehr als 3000 Hektar – einer Fläche, die in etwa der Stadt Garching entspricht! Geplant sind unter anderem ein Hafen, diverse Produktionsanlagen für Ammoniak und Wasserstoff sowie tausende Stromgeneratoren.
Wird das Projekt wie angedacht umgesetzt, wären astronomische Beobachtungen aufgrund der entstehenden Lichtverschmutzung nicht mehr möglich. Der Standort auf über 2500 Metern Höhe wurde schließlich nicht zufällig ausgewählt, zählt die Atacama-Wüste mit ihrem klaren, dunklen Himmel doch zu den letzten abgelegenen Orten der Welt und bietet somit ideale Bedingungen für astronomische Spitzenforschung.
Sämtliche am Paranal tätigen Institutionen plädieren daher für eine Verlegung des Projekts: „Ich hoffe, dass wir mit der AES Corporation reden und einen vernünftigen Kompromiss finden können“, sagt Reinhard Genzel. Der Standort des Unternehmens müsste lediglich um einige Kilometer verlegt werden, „und dann wäre das Problem ja gelöst“. Es gehe hier zudem nicht um eine Auseinandersetzung zwischen Wissenschaft und Technik, betont er. Stattdessen solle sichergestellt werden, dass Beobachtungen am Paranal auch künftig möglich sind.
Vor diesem Hintergrund hatte der Besuch des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier auch eine politische Komponente. Die beteiligten Forschungseinrichtungen hoffen auf Unterstützung durch die deutsche Bundesregierung.
Steinmeier selbst zeigte sich jedenfalls beeindruckt vom Paranal und sprach von einem „magischen Ort“. In einer Presseansprache betonte er die Bedeutung des Observatoriums für die Zusammenarbeit zwischen Chile und Deutschland. „Wir sind stolz darauf, dass deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an dieser Spitzenforschung teilhaben. Wenn diese Forschung auf diesem Niveau aufrechterhalten bleiben soll, dann muss dieser Standort auch dauerhaft vor Lichtemissionen aus anderen Quellen geschützt werden.”

Für Reinhard Genzel war die Besichtigung des VLT indes nicht der einzige Termin während seiner Südamerika-Reise. Bereits am Vortag stattete er der Universität Chile in der Hauptstadt Santiago de Chile einen Besuch ab. Bei einer von der Deutschen Botschaft organisierten Veranstaltung hielt er vor Vertretern des deutschen diplomatischen Korps und zahlreichen prominenten internationalen Forscherinnen und Forschern einen Vortrag, in dem er auf die jüngsten Fortschritte bei der Erforschung supermassereicher Schwarzer Löcher, die Entwicklung modernster Teleskope und die grundlegende Rolle Chiles als astronomisches Weltzentrum einging. Genzel erhielt zudem „als Anerkennung seiner unschätzbaren Beiträge zur Wissenschaft und zur engeren Zusammenarbeit mit der chilenischen astronomischen Gemeinschaft“ die Rektoratsmedaille der Universität Chile.