Protoplanetare Scheibe wird von der Mutterwolke gespeist
Sternsysteme wie unser Sonnensystem entstehen in interstellaren Wolken aus Gas und Staub, die kollabieren und junge Sterne bilden. Diese sind in eine protoplanetare Scheibe eingebettet, in der Planeten entstehen und den Raum um sich herum frei räumen - wie kürzlich in bereits entwickelten Systemen beobachtet, bei denen die Mutterwolke schon aufgebraucht war. Beobachtungen mit ALMA haben nun eine protoplanetare Scheibe gezeigt, die einerseits eine große Lücke aufweist, die andererseits aber immer noch über ausgedehnte Gasfilamente von der umgebenden Wolke gespeist wird. Dies zeigt, dass die Akkretion von Material auf die protoplanetare Scheibe länger andauert als bisher angenommen, was sich auf die Entwicklung des zukünftigen Planetensystems auswirkt.
Ein Team von Astronomen unter der Leitung von Dr. Felipe Alves vom Zentrum für Astrochemische Studien (CAS) am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik (MPE) verwendete das Atacama Large Millimeter/Submillimeter Array (ALMA), um den Akkretionsprozess im stellaren Objekt [BHB2007] 1 zu untersuchen, einem System an der Spitze der Pfeifennebels. Die ALMA-Daten zeigen eine Scheibe aus Staub und Gas um den Protostern und große Gasfilamente um diese Scheibe herum. Die Wissenschaftler interpretieren diese Filamente als Akkretionsströme, die die Scheibe mit Material aus der umgebenden Wolke speisen. Die Scheibe bereitet das einströmende Material weiter auf und führt es dem Protostern zu. Die beobachtete Struktur ist sehr ungewöhnlich für stellare Objekte in diesem Entwicklungsstadium – bei einem Alter von etwa 1.000.000 Jahren – wenn sich die zirkumstellare Scheibe bereits gebildet hat und reif ist für die Entstehung von Planeten. „Wir waren ziemlich überrascht zu beobachten, dass es so markante Akkretionsfilamente gibt, die auf die Scheibe einfallen“, sagt Alves. „Die Aktivität dieser Filamente zeigt, dass die Scheibe immer noch wächst, während sie gleichzeitig den Protostern ernährt.“
Das Team fand auch einen riesigen Hohlraum innerhalb der Scheibe. Der Hohlraum hat eine Breite von 70 Astronomischen Einheiten und umfasst einen kompakten Bereich aus heißem molekularem Gas. Darüber hinaus weisen zusätzliche Daten des Very Large Array (VLA) bei Radiofrequenzen darauf hin, dass an derselben Stelle, an der das heiße Gas detektiert wurde, nichtthermische Emission vorhanden ist. Beide Beweisketten deuten darauf hin, dass sich ein „substellares“ Objekt – ein junger Riesenplanet oder Brauner Zwerg – in dem Hohlraum befindet. Wenn dieser Begleiter Material von der Scheibe akkretiert, heizt er das Gas auf und treibt möglicherweise starke ionisierte Winde und/oder Jets an. Das Team schätzt, dass ein Objekt mit einer Masse zwischen 4 und 70 Jupitermassen nötig ist, um die beobachtete Lücke in der Scheibe zu erzeugen.
„Wir stellen hier einen neuen Fall von Stern- und Planetenentstehung vor, bei dem sich beide Objekte gleichzeitig bilden“, erklärt Paola Caselli, Direktorin am MPE und Leiterin der CAS-Gruppe. „Unsere Beobachtungen liefern starke Hinweise darauf, dass protoplanetare Scheiben auch nach Beginn der Planetenentstehung weiter Material sammeln. Dies ist eine wichtige Information, weil das frische Material, das auf die Scheibe fällt, sowohl die chemische Zusammensetzung des zukünftigen Planetensystems als auch die dynamische Entwicklung der gesamten Scheibe beeinflusst.“ Diese Beobachtungen bringen zudem Einschränkungen für die Zeitskala der Entstehung von Planeten und die Entwicklung der Scheibe mit sich und werfen ein Licht darauf, wie Sternsysteme wie unser Sonnensystem aus der ursprünglichen Wolke gebildet werden.